Übrigens …

Was ihr wollt im Schauspielhaus Düsseldorf

Misere der Identitäten

Viola erwacht im „toten Land“ - nach einem Schiffbruch vor Illyrien glaubt sie die einzige Überlebende zu sein und ihren Zwillingsbruder Sebastian in den Fluten verloren zu haben. Im Schutze einer neuen Identität, dem Pagen Cesario, gerät sie in die Wirrungen des illyrischen Adels: Herzog Orsino verzehrt sich nach Gräfin Olivia, diese liebt ihn aber nicht und entwickelt viel mehr Gefühle für Viola in Gestalt von Cesario. Viola liebt hingegen Herzog Orsino, handelt jedoch in seinem Dienste, um um Gräfin Olivia zu werben. Als wäre dieses klassische Love-Triangle nicht schon verwickelt genug, lebt Violas Bruder Sebastian noch und wie es der Zufall will, sehen die Zwillinge quasi identisch aus und werden deshalb in entscheidenden Momenten verwechselt.

Shakespeare hat damit in seinem 1601/1602 uraufgeführten Stück ein kompliziertes Beziehungskonstrukt mit einer Verwechslungskomödie verwoben, das auch im heutigen Kontext noch Fragen zu Identität, Gender und Gesellschaftsstand aufwirft. Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung touchiert diese Themenkomplexe eher subtil und verschiebt den Fokus in eine noch abstraktere Richtung.

Sonnenbichler Inszeniert Illyrien als Totenreich oder Limbus, also eine Zwischenwelt für die Seele. Dieses Konzept ergibt sich allerdings nicht inhärent aus der Inszenierung, sondern wird erst in der letzten Szene offenbart. Bis dahin fehlen fast gänzlich Andockpunkte für diese Idee. Eine Komödie in einer solch düsteren Herangehensweise wirkt zunächst sehr erfrischend und kreativ, leider lässt sich dieser Gedanke aber bis zum Ende kaum erkennen. Deutlicher wird die Lust am Spaß und allem Komischen. Insbesondere beim zweiten Handlungsstrang - in welchem die Gefolgsleute Lady Olivias sich einen besonderen Streich mit dem pedantischen Haushofmeister Malvolio erlauben - wurden sämtliche Register der Komik gezogen. Mit dem Mantra „Lasst alle Anstandsregeln außer Acht!“ gibt es neben typischen Slapstickeinlagen auch textübergreifende Wortspiele, Mut zum für Shakespeare typischen Vulgarismus und reichlich Klamauk. Auch wird auf Shakespeares gewitzten Text gesetzt, aber wem das auch nicht reicht, der bekommt noch ein Lied mit dem Text „Halt das Maul, du Sau, du dumme Sau!“, in epischer Breite intoniert und auch einen quasi kontextlosen Glitzertanga präsentiert.

Das Ensemble zeigt deutlichen Spaß an dieser Albernheit. Allen voran sorgen Thomas Wittmann und Thomas Kitsche als Malvolio und Sir Andrew für Lacher. Jürgen Sarkiss balanciert hingegen als Narr Feste sowohl witzige Momente in teilweise erstaunlich akrobatischer Manier, mit ernsten, klugen Beobachtungen und Impulsen. Sarkiss verkörpert gekonnt subtil das Bindeglied der albernen, heiteren Welt der anarchischen Gefolgschaft, mit der Schwere aller Irrungen und Probleme der Adligen um Liebschaften und Identitäten. Wie eine Art lustiger Charon führt er sowohl durch die unbeschwerten als auch nachdenklichen Momente der Inszenierung in der Totenwelt. Auch Jonas Friedrich Leonhardi überzeugt mit einer grandiosen Darbietung des liebeskranken Orsino, dessen Verlangen und Schmerz keinen Raum für Albernheiten lassen und damit immer wieder als Anker für die ernsthaften Momente der Inszenierung dienen. Sophie Stockinger, die als Protagonistin des Abends nicht nur Viola und ihr Alter Ego Cesario, sondern auch ihren Zwillingsbruder Sebastian verkörpert, glänzt mit einem facettenreichen und präzisen Spiel, welches jedoch aufgrund der Gewichtung der anderen Handlungsstränge und Szenen, in denen sie nicht vorkommt, etwas unterzugehen droht.

Neben dem Ensemble überzeugt auch die angenehm unaufdringliche Begleitung der Live-Musik durch Kiki Bohemia, Norbert Krämer und Tobias Vethake. Die charmante Interaktion der Musik mit dem Ensemble sorgt für passende Klangstimmungen, welche hervorragend mit der detailliert und aufwendig konzipierten Bühne von David Hohmann harmonieren. In einem Becken mit 4.500 Liter Wasser plätschern die Figuren, umgeben von mit Spiegeln bedeckten geometrischen Steinen, von einem Problem ins nächste. Das gesamte ästhetische Potential der Bühne entfaltet sich allerdings erst im Zusammenspiel mit dem von Konstantin Sonneson konzipierten Lichtkonzept, welches große Lichtkegel und gebündelte Strahlen präzise auf die reflektierenden Spiegelsteine treffen lässt, wodurch komplexe, abstrakte und nahezu surreale Konstrukte im Geiste eines Limbus geschaffen werden.

Der Grundstein für eine Was ihr wollt-Inszenierung in einer „Totenreich“-Lesart schien mit dem Bühnenbild gelegt zu sein, leider scheitert die Inszenierung aber dieses Konzept stringent, sinnig und überhaupt deutlich zu vermitteln. Die „Erläuterung“ am Ende der Inszenierung wirkt dahingehend fast überraschend und in Retrospektive zum Gesehenen weder stimmig noch sonderlich einleuchtend. Auch Violas und Sebastians finale Transzendenz im Sinne ihrer Aussage „Ich bin alle Schwestern, alle Brüder, die ich habe“ passt zwar zur initialen Idee, entfaltet aber leider mangels konsequenter Sinnhaftigkeit keinerlei kathartische Wirkung.

Was bleibt ist ein interessantes - und bei treffender Ausführung sicher sehr sehenswertes - Konzept, das leider nicht ganz durchbricht und hinter all der Komik zurückbleibt. Wer allerdings Lust auf einen klamaukig-lustigen Shakespeareabend mit hoch ästhetischen Bildern hat, wird bei diesen knapp zweieinhalb Stunden bestens unterhalten sein. Am Ende bleibt aber vielleicht dennoch die Frage, die sich auch Viola stellt: „Wo ist die Lösung für dieses Durcheinander?“