Kästners Emil und seine Bande als Teenager
„Kinder- und Familienstück“ nennt Robert Gerloff seine Bühnenfassung von Erich Kästners Fortsetzung der Geschichte um Emil und die Detektive, die er vor einem Jahr am gleichen Ort auf die Bühne brachte. Inzwischen sind die einstigen Detektive zu Freunden geworden und befinden sich „im Zeitalter der Konfirmation“ (so Kästner). In der neuen Geschichte stehen nicht mehr Verbrechen und Verfolgungsjagd im Mittelpunkt, sondern Befindlichkeiten der Teenager, Fragen nach Verantwortung, der eigenen sozialen Rolle und geforderter Solidarität.
Tatsächlich sind alle wieder dabei: Emil Tischbein aus Neustadt, Gustav mit der Hupe, der Kleine Dienstag, Pony Hütchen und die Professorin. Sie ist es, die diesmal die alte Kinderbande zusammenruft, um gemeinsam in der Villa Seeseite in Korlsbüttel an der Ostsee die Sommerferien zu verbringen. Sie erbte das Haus von der Großmutter und außer der Zugehfrau fürs Grobe, Klotilde Seelenbinder aus dem Nachbarhaus, ist da kein Erwachsener, der ihnen in irgendetwas reinredet.
Doch bevor es richtig losgeht, tritt „Die Professorin“ (Natalie Hanslik) aufs Proszenium, stellt sich vor, fragt auch Kinder im Publikum nach ihrem Namen und erzählt dann mit unnötiger Ausführlichkeit die voraufgegangene Geschichte Emil und die Detektive. Auch die erste Szene, die Einladung mit Mutter (Tabea Bettin), Emil (Belendjwa Peter) und Professorin spielt noch auf dem Proszenium, bevor sich dann endlich der Vorhang öffnet, ein wundervolles, reetgedecktes Haus freigibt und ein grandioses Spiel mit tollen Ideen, Tanz, Musik und begeisternder Akrobatik seinen Lauf nehmen kann.
Nach und nach tauchen die Freunde auf. Die Professorin bemerkt gleich bei der Begrüßung, dass Emil etwas bedrückt, doch er will nicht heraus mit der Sprache. Später gesteht er, zwei Seelen in seiner Brust zu haben, da er nicht damit zurechtkommt, dass seine geliebte Mutter sich wiederverheiraten will. Seit er mit Fünf den Vater verlor, lebt er mit ihr allein und wünscht sich - wider besseres Wissen - dass es so bleibt.
Dieses und andere ernste Gespräche werden immer wieder temperamentvoll begleitet von musikalischen Studioeinspielungen, darunter Songs, die mal solo, mal chorisch das Geschehen kommentieren und zu Tanz oder gar akrobatischen Vorführungen den Rhythmus vorgeben. Dafür gibt’s zuverlässig Szenenapplaus.
Eine besondere Rolle kommt dabei Gustav mit der Hupe zu, herrlich gespielt von Jonathan Gyles, dem einzigen aus der Clique, der schon bei den Detektiven mitspielte und zum Ensemble des Jungen Schauspiels gehört. Er kommt gleich zu seinem ersten Auftritt an einem bunten Flugobjekt aus dem Schnürboden auf die Bühne geschwebt, besingt die „Nobelhütte“, erklärt sich zum Boss und fordert das beste Bett, was zu einem kurzen Gerangel führt.
Nach eindrucksvollen Spiel-, Traum- und Gesprächs-Szenen wird das herrliche Domizil noch einmal kräftig besungen: „Wir sind zuhause hier/Erwachs‘ner raus mit dir!“ bevor die gesamte Villa Seeseite von der Bühne verschwindet und den Blick freigibt auf einen prachtvollen Sommer-Meeresstrand. Applaus für die Bühne!
Im Strandkorb sitzt Klotilde Seelenbinder (Anastasia Schöpa) und liest im Roman Emil und die Detektive und tatsächlichtaucht HansSchmauch (Vincent Wiemer) auf, der hilfsbereite Hotel-Page aus der alten Detektivgeschichte. Eine nette Anspielung. Hans arrangiert einen Abend im Varieté des Hotels, wo er jetzt als Piccolo arbeitet und wo die Gruppe auch Hans‘ Onkel (Leon Schamlott), den Kapitän eines Ostsee-Dampfers, kennenlernt. Ab hier wird´s dann kriminalistisch: der Chef der angeblichen Artistenfamilie „Three Byrons“ will einen der „Zwillinge“ aus seiner Akrobaten-Nummer nachts im Hotel zurücklassen und sich mit dem anderen „Zwilling“ sowie Hans Schmauch als Ersatz-Zwilling auf dem Ostsee-Dampfer davonmachen (wobei die zwei gar keine Zwillinge sind, nicht mal Brüder und er auch nicht der Vater, also sie alle keine Familie).Das ist was für die Spürnasen. Identifiziert und überführt wird der Bösewicht (Christian Clauß) ausgerechnet durch die Tätowierung des Kästner‘schen Epigramms: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Aus dem rotsamtenen Varieté ist inzwischen im Dreh ein opulenter Dampfer mit Unter- und Oberdeck geworden. Und damit sich der ganze Aufwand auch lohnt, findet die Bande im Gepäck von Mister Byron, der natürlich ganz anders heißt, nämlich Herr Anders (eine quirlige Szene um die Sprache) auf dem Oberdeck noch eine Menge Diebesgut, darunter den wertvollen Bernsteinspiegel, der vor wenigen Tagen aus der Villa Seeseite gestohlen wurde. Díesmal geht’s fast ohne Verfolgungsjagd: nach ein paar Runden auf dem Unterdeck ist der Ganove mit der grünen Neun, alias Mister Byron, alias Herr Anders, gefasst - von dem das Radio die ganze Zeit berichtete.
Ganz offensichtlich geht es Kästner diesmal bei den Abenteuern der Bande mit den drei Zwillingen augenzwinkernd eher um Unterhaltung am Rande.
In dieser Coming-of-Age-Geschichte stehen vielmehr die emotionalen und sozialen Fragen der Jugendlichen, die Bedeutung von Vertrauen und Freundschaft im Zentrum und werden grandios auf die Bühne gebracht von einem spielfreudigen diversen Ensemble, das sich nach 75 Minuten mit dem Aufruf zur Bandenbildung singend und tanzend von einem begeisterten Publikum jeden Alters verabschiedet.
„Ihr habt’s sicher schon gerafft / Dass man zusammen / Einfach alles schafft!
Bildet Banden! Bildet Banden! / Mit Freunden und Verwandten!“