Übrigens …

Der Menschenfeind im Schauspielhaus Düsseldorf

Schräglage der Gefühle

 Molière hat das Tier Mensch wie ein Insekt aufgespießt und löst mit feiner Pinzette seine Reflexe aus. Und das Insekt Mensch zeigt nur den einen, immer gleichen Reflex, der bei der geringsten Berührung aufzuckt: den des Egoismus.“ (Jean Anouilh) Molière zeichnet in seiner Komödie Der Menschenfeind, die 1666 in Paris uraufgeführt wurde, eine lächerliche Welt, in der Schein wichtiger ist als Sein und sich angeblich gute Freunde nur zu gern in den Rücken fallen. Schmeicheleien und oberflächlicher Society-Smalltalk dominieren diese Gesellschaft. Alceste, die Hauptfigur in diesem Stück, das zugleich eine traurige Liebesgeschichte erzählt, fühlt sich der absoluten Aufrichtigkeit verpflichtet. Aber trotz seines ständigen Opponierens gegen Intrigen und Partyklatsch bleibt er Teil dieser Gesellschaft, gefangen in seiner grenzenlosen Liebe zu Célimène. Sie wiederum weiß besser als jeder andere die Partylöwin zu geben und kennt sich hervorragend aus im – heute noch genauso gültigen – Gerangel um wichtige Personen und in den Taktiken, Allianzen zum eigenen Vorteil zu schmieden. Die Gesellschaft im Menschenfeind kreist ständig um sich selbst und verhandelt fortwährend den Marktwert ihrer Mitglieder. Die Liebesgeschichte ist eine Geschichte des gegenseitigen Verfehlens, will doch Célimène nicht auf das Spiel mit ihren zahlreichen Verehrern verzichten. Und Alceste vermag nicht, von ihr zu lassen, ebenso wenig, wie er mit den Provokationen gegenüber der Gesellschaft aufzuhören imstande ist.
Sebastian Baumgarten inszenierte
Molières Klassiker in der Fassung von Botho Strauß. Wobei dieser Abend durch Kostüme und Bühnengestaltung, nicht nur durch den Text, hochaktuell wird. Schon wenn das Publikum zu seinen Plätzen strömt, tummeln sich auf de Bühne die Maler. Sie streichen den Boden und die hintere Wand leuchtend gelb an. Die Schauspieler tragen schwarze Kostüme aus Lack und Leder, die an Uniformen von gestern erinnern. Breitkrempige Hüte und wehende Umhänge ergänzen so manches Kostüm. Personen werden auch mal vom Bühnenhimmel an Seilen herabgelassen. Mancher Monolog wird auf einer Tafel wiedergegeben, während die ihn sprechende Person die Lippen nur bewegt. Münder und Augen der Mitwirkenden sind pechschwarz geschminkt. Alle diese „Verfremdungen“ – im Vergleich zu einer von der Optik her klassischen Inszenierung des Werkes – tragen zu einer aktuellen Interpretation bei. Claudius Steffens ist ein ungemein geschmeidiger Alceste, der immer von der eigenen Meinung überzeugt ist und keinen Zweifel daran zulässt. Glaubhaft auch seine innere Zerrissenheit betreffend Célimène, aber auch seine rechthaberische Position. Sieht er doch immer nur seine eigene Meinung als die einzig richtige an. Heiko Raulin gibt seinen Freund Philinte, der ihm zuredet, in einem anstehenden Prozess zu lügen, will er ihn nicht verlieren. Umsonst. So kritisiert Alceste auch Orontes Gedicht (Sebastian Tessenow) äußerst barsch und drastisch. Minna Wündrich spielt die Witwe Célimène, Alcestes Angebetete, äußerst facettenreich und eloquent. Es ist eine Freude, ihr bei dem Geplänkel im Kreise ihrer Verehrer – Acaste (Rainer Philippi) und Clitandre (Markus Danzeisen) -, ihrer Freundin Arsinoé (Cathleen Baumann) und ihrer Cousine Éliante (Caroline Cousin) zuzusehen.

Baumgarten gelang ein in jeder Beziehung überzeugender, kurzweiliger Abend, der dennoch Tiefgang hatte und an manch heutige Umstände denken ließ.Das Publikum dankte mit langem Applaus und Bravorufen in dieser zweiten Vorstellung.