Übrigens …

Berlin Alexanderplatz im Köln, Schauspiel

„Ein Jegliches hat seine Zeit.“

Hermann Schmidt-Rahmer war vor 35 Jahren Mitglied des Kölner Ensembles. Seit 2011 ist er Professor für Szene an der Universität Berlin. Jetzt brachte er seine Bühnenfassung des 1929 erschienenen Romans Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin am Kölner Schauspiel heraus.
Bereits vor 100 Jahren war Berlin eine schnell wachsende Millionen-Metropole, wobei der Alexanderplatz einen der zentralen Knotenpunkte darstellte. Der Roman schildert diese immer komplexer werdende Welt, wobei Döblin als literarische Mittel u.a. eine expressive Sprache und Montagen aus Werbeslogans bis hin zu Bibelversen verwendete, um die Großstadt als Ort der Dauerkommunikation darzustellen. Eine ständige Reizüberflutung – Wichtiges und Unwichtiges, eine permanente Geräuschkulisse – wirkt auf den Menschen ein, der sich dieser Dauerkommunikation nicht entziehen kann. Schmidt-Rahmer erweitert den dauerrauschenden Stadtraum durch die Datenströme der digitalen Netzwelt. Auch hier, wie schon bei Döblin, dominiert ein patriarchalisches, menschenfeindliches Klima.
Der Lohnarbeiter Franz Biberkopf tritt nach vier Jahren Haft – er hatte seine Freundin erschlagen – in diese neue Welt ein.
Er versucht, anständig zu leben, will dann aber schnell an Geld kommen und gerät so auf die schiefe Bahn. Im Zuge der Handlung verliert er seinen Arm und verliebt sich in die Prostituierte Mieze. Sein Freund, der Ganove Reinhold, verwickelt ihn in dubiose Geschäfte und dennoch kann sich Franz nicht von ihm lösen. Schmidt-Rahmer stellt die ständige Reizüberflutung u.a. durch eine große Bühnenwand mit unzähligen kleinen flirrenden Bildern und Videos dar, von denen einige ab und zu für einen Moment größer werden. Dazu kommt, dass sich die Schauspieler gegenseitig oder selbst mit den Handys filmen, was auch auf die Rückwand übertragen wird. Sicher sind diese optischen Einflüsse ein wesentliches Indiz unserer von TikTok und anderen Kommunikationsformen beherrschten Welt. Hinzu kommt noch, dass Biberkopf von mehreren Darstellern gespielt wird – Jonas Dumke, Leonhard Hugger, Fabian Reichenbach, Franziska Annekonstans Winkler, Uwe Rohbeck: Die Absicht ist klar: jede dieser Figuren stellt einen anderen psychischen Zustand des Protagonisten dar, aber hätte nicht ein Darsteller gereicht? Anja Laïs spielt Reinhold mit angeklebtem Bart. Was bringt hier der Geschlechtertausch? Louisa Beck überzeugt als Mieze.
Aber insgesamt wird es dem Zuschauer schwer gemacht, nicht dann und wann ob der ständigen Reizüberflutung abzuschalten. Zum Ende hin wird diese immerhin beachtlich reduziert. Todesengel wandern über die nun schwarze Bühne. Fast erleichtert erleben
wir Uwe Rohbeck als letzte Version des Franz, der erklärt: „Ich bin kein Mensch, ich bin ein Vieh, ein Untier.“
Dieser Abend bietet sicher manch intelligente Umsetzung des verwirrenden, flirrenden Einflusses der Umwelt auf Franz Biberkopf. Da aber zu oft gerapt, geschwafelt, gefilmt wird, wird es dem Zuschauer schwer, wenn nicht unmöglich gemacht, dem Handlungsfaden konzentriert zu folgen. Was nicht dem Ensemble anzulasten ist.