Übrigens …

Kammerspiele #1 – Die Nacht der Lesben im Köln, Schauspiel

Formbewusste Zombies

Es ist der 4. März 1889 im Kopenhagener Dagmar-Theater. Siri von Essen, Directrice des Theaters und August Strindbergs von ihm getrennt lebende und bald geschiedene Ehefrau, „trägt Nachttöpfe und flucht auf Finnisch“, wie ihr Gatte zutreffend feststellt, und raucht E-Zigaretten. Das grelle Weiß der Bühne blendet das Publikum in den Augen; leere Weinflaschen und der erwähnte Pinkelpott liegen herum und werden von Siri achtlos hinters Sofa geworfen. Auf dem Piano sind ein Totenkopf und andere menschliche Knochen drapiert; Steckenpferde, Flaggen und andere Requisiten mehr stehen in den Ecken. Ein ultralangsamer musikalischer Sound untermalt die zeitlupenartigen Bewegungen der Figuren und deren verzerrte, langsame Sprache. August Strindberg trägt Fellmantel, Zylinder und Puma-Sneakers und ist so misogyn wie sein Ruf, aber auch verängstigt – wenn nicht gar traumatisiert - von der Frauenpower, die sein patriarchalisches Weltbild und damit sein Selbstverständnis bedroht. Denn darum geht’s in Per Olov Enquists vor einem halben Jahrhundert am Königlichen Dramatische Theater in Stockholm uraufgeführten Stück: um Strindbergs paranoide Frauenfeindlichkeit respektive seine frauenfeindliche Paranoia. Beides ist nicht das Gleiche, auch wenn es manchmal auf das Gleiche hinauskommt.

Strindberg schaut im Dagmar-Theater vorbei, weil Siri dort sein neues Stück Die Stärkeren inszenieren soll. Die Stärkeren – das können selbstverständlich immer nur Männer sein. In Strindbergs Einakter, in dem zwei Frauen um einen Mann kämpfen, kommt der Mann gar nicht vor. Macht nichts: Dann ist er eben „der verlorene Mittelpunkt“ -.was Marie David ironisch meint, Strindberg aber todernst. Ausgerechnet Marie Caroline David, Siris neue Freundin, soll eine Rolle in Strindbergs neuem Stück spielen. Der Überlieferung nach hat der Autor sie einige Zeit zuvor mal die Treppe herunter gestoßen und vor die Tür gesetzt. Und zwar nach der Nacht der Tribaden: Strindberg wirft Siri und Marie vor, eine lesbische Beziehung zu führen; während eines gemeinsamen Aufenthalts in Grez / Südfrankreich kam es zur Eskalation. Der Geschlechterkampf zwischen August und den Damen findet nun eine Fortsetzung. Zwar ist Maries Rolle in Strindbergs Stück stumm, aber Marie selbst ist keineswegs auf den Mund gefallen. Allein das ist eine Provokation für den Schriftsteller.

Da Enquist das Stück mit manch amüsanter Pointe ausgestattet und boulevardtauglich als spitzzüngiges Kammerspiel angelegt hat, dürfte es in den 1970er Jahren, als es sogar am Broadway aufgeführt wurde, einige Lachsalven ausgelöst haben. Großartig treibt Enquist Strindbergs oft inhaltlich lächerliche „Vulkanausbrüche“ auf die Spitze; in den Probenszenen werden die kitschigen und banalen Momente von Strindbergs Text genüsslich zur Schau gestellt; die Eifersucht, aber auch die Komplexe des Schriftstellers, mit denen sich seine Misogynie erklären ließe, klingen überdeutlich an. Das war in den 1970ern sicher gute Unterhaltung,

Lachen darf man bei Markus Öhrns Inszenierung am Schauspiel Köln auch. Aber Öhrns Humor ist ein vollkommen anderer als bei Enquist. Anstelle einer schnellen Boulevard-Komödie wird in einer formbewussten Ästhetik zwischen Comic und Horror gespielt. Unendlich langsame Zombies sprechen mit unnatürlichen, verfremdeten Stimmen, die aus Lautsprechern klingen und den Figuren bisweilen sogar schwer zuzuordnen sind. Insbesondere Bettina Lieders Blondchen Siri nervt in voller Absicht mit einer quetschenden Kinderstimme, die den Lesungen aus Strindbergs Text endgültig jede Ernsthaftigkeit nimmt. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler tragen starre Gesichtsmasken mit riesigen geöffneten Mündern und rollenden schwarzweißen Plastikaugen. Erstaunlich erscheint, wie einige der Akteure ihren eigentlich in keiner Weise psychologisierten, puppenhaften Figuren dennoch Gefühle wie Traurigkeit, Selbstmitleid, Minderwertigkeitskomplexe oder Ähnliches verleihen können. Vor allem Andreas Grötzinger als Schauspieler Viggo Schiewe, der in Enquists Stück und Öhrns Überschreibung zwischen Anbiederung an Strindberg und Loyalität zu Siri von Essen schwankt, zeigt unter der Maske eine verblüffende schauspielerische Variabilität.

Dennoch tritt die Aufführung nach einer unterhaltsamen ersten Stunde auf der Stelle. Doch dann findet sie zu einem fulminanten Ende, das sich bis in den Schlussapplaus hineinzieht. Aber davon wollen wir nichts verraten.