Übrigens …

Bunbury im Theater Münster

Wer den Schaden hat...

Oscar Wildes meisterhafter Bunbury trägt den Untertitel Eine oberflächliche Komödie für ernsthafte Leute?. Oberflächlich ist die Handlung sicherlich - eine typische Verwechslungsgeschichte mit programmiertem Happy-End wie es viele gibt. Einzigartig wird sie durch Wildes Sprachkunst. Maliziös setzt er eine geschliffene Pointe nach der anderen. Zugegeben: Das Ganze ist ein Kunstwerk und sehr künstlich dazu: Auch am Ende des 19. Jahrhunderts wird niemand so gesprochen haben. Wilde schafft sich in Bunbury seine eigene Gesellschaft, indem er Untertöne und Worte, die ungesagt im Raum stehen, verbalisiert und das mit einer atemberaubendem Formulierungsfähigkeit.

Die kommt auch in Sebastian Schugs Übertragung zur Geltung, der Wildes Text zunächst nur gelinde modernisiert. Und so reiht sich eine Wortkaskade an die nächste, die Handlung wird stetig rasanter. Das Publikum muss achtgeben, dass es während eines Lachers nicht den Anschluss verliert. Wer wen liebt, wer gerade lügt oder die Wahrheit sagt - um da auf dem Laufenden zu bleiben, bedarf es höchster Aufmerksamkeit. Ein dankbarer Stoff für jedes Regieteam. Sebastian Schug und seine Leute können aus dem Vollen schöpfen. Folgerichtig stellt Jan Freese in die Mitte der Bühne eine Art Showtreppe für die mehr oder minder großen Auftritte. Und Schug hält den „Laden" ständig in Bewegung. Da ist kaum jemals ein Innehalten zu verorten. Der ganze Raum der Bühne wird genutzt - auch der Landhausgarten, der sich in Gestalt eines Dschungels materialisiert, der an die Ausstattung einer üppig bewachsenen Orangerie erinnert. Die Londoner Residenz Algernons gemahnt mit Kissenbergen und Korbsessel dagegen eher an einen orientalischen Sündenpfuhl. Lebendig ist die Szenerie in jeder Minute. Dafür sorgt ein Ensemble, das großartig aufeinander eingespielt ist, sich die Bälle zuwirft, das es eine Freude ist.

Freie Bahn hat natürlich auch Nico Zielke bei den Kostümen. Da wird sich richtig ausgetobt. Pascal Riedel gibt den Algernon Moncrieff als Wesen in verschiedenen Umhängen und viel nackter Haut. Riedel spielt vor allem die kleinen „Unkorrektheiten" seiner Rolle voll aus. Der von Ansgar Sauren eher etwas steif angelegte Jack Worthing macht auch in Chaps bella figura. Scheinbar unschuldig und naiv ganz in Weiß verschießt Clara Kroneck als Gwendolyn ungerührt vergiftete Wortpfeile und auch die Cecily von Elzemarieke de Vos hat trotz des barbie-rosafarbenen Äußeren einige Waffen im Gürtel. Verbal-brutal trägt Agnes Lampkin als Lady Bracknell ein Kriegsschiff auf dem Hut, das ihre Kampfbereitschaft symbolisiert. Ilja Harjes als Gouvernate in 70er-Jahre-Karo und Raphael Rubino als Pfarrer in - wie langweilig - Schwarz ergänzen das Ensemble wie auch Artur Spannagel, der sich vom braven Diener zum neckischen Amor mit Leuchtflügeln wandelt.

Den Schluss verwandelt Schug dann in eine queere Glückseligkeits-Manifestation. Es wird an jedem Ort der Bühne gerammelt, was das Zeug hält. Ob das wirklich - wie angedeutet - Oscar Wildes Wunsch gewesen wäre, sei dahingestellt. Wahrscheinlich konnte er sich so etwas in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen. Dem vor 125 Jahren gestorbenen Dichter, der eine Gefängnisstrafe wegen Homosexualität absitzen musste, wäre Schugs Ende vermutlich eher einen Tick zu vulgär gewesen und auch sprachlich nicht ganz auf seinem Niveau. Spaß hat es dennoch gemacht und das Publikum ist ehrlich sehr angetan.