Übrigens …

Michael Kohlhaas im Münster, Wolfgang-Borchert-Theater

Die Rosstäuscher

Leitern beherrschen die Bühne. Hoch ragen sie hinauf. So hoch, dass sie endlos scheinen. Teilweise sind sie ineinander verschränkt, eine bildet eine Brücke zur nächsten, andere sind von den Nachbarn nicht zu erreichen. Gedankengänge eines Gehirns oder Beziehungsdickicht einer Gesellschaft?

Tanja Weidner stellt zunächst aber eine andere Frage: Wie wird aus einem gottesgläubigen und gesetzestreuen Mann ein Brandstifter und Mörder? In ihrer Bühnenfassung von Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas geht sie dieser Frage auf den Grund. Und erzählt die Geschichte des Pferdehändlers, dem ein adliger Junker seine Ware - die Pferde - beschlagnahmt und diesedann zugrunde richtet. Kohlhaas will nur Gerechtigkeit, sucht sein Heil vor Gericht und gerät letztlich in einen Strudel von Machenschaften, Intrigen oder nur krassen Fehleinschätzungen, dass sein Fall Wellen in höchsten Adels- und Kirchenkreisen schlägt. Kohlhaas mordet und brandschatzt schließlich in blinder Wut, wird wieder getäuscht und als Bauernopfer hingerichtet, um Frieden zwischen Kurfürsten und Kaiser zu stiften. Weidner arbeitet in ihrer Fassung all' die kleinen gesellschaftlichen Rädchen und Mechanismen, in denen die Ursachen für Kohlhaas' Verhalten liegen, heraus.

Transportiert werden sie aber durch Gregor Eckert, der nicht nur der Pferdehändler ist, sondern auch alle anderen Menschen spielt. Und das macht er einfach großartig. Durch Bewegungen einer unsichtbaren Nähnadel entsteht Kohlhaas' Frau, näselnde Sprachmodulation führt Hofschranzen vor Auge und Ohr. Gewaltig, keinen Widerspruch duldend, predigt Martin Luther. Scheinbar sanft, elegisch und dennoch sehr machtbewusst erscheint der Kurfürst von Sachsen… Viele Stimmen in Kohlhaas' Ohren, die ihn langsam, aber sicher zerstören. Immer zweifelnder und verzweifelter wird Eckert. Dabei hatte die Titelfigur zu Beginn doch so in sich geruht.

Doch nicht nur im Kopf des Pferdehändlers rattert es. In den spannenden neunzig Minuten beginnt auch dem Publikum die ungeheure Aktualität von Kleists Novelle klar und klarer zu werden. Auch bei uns verzögern sich Urteile, bleiben Anträge jahrelang im Behördendschungel stecken. Und es suchen sich Machtstrebende und Demagog:innen Opfer, schüren Demokratiefeindlichkeit. Ist es da so unmöglich, dass Geschundene sich wieder ein Messer greifen oder einen LKW stehlen und Unschuldige massakrieren? Was ist so anders als bei Kohlhaas?

Nicht nur für diese klare Botschaft wird das Regieteam gefeiert und vor allem Gregor Eckert, der mit voller Kraft und ohne doppelten Boden? agiert und den Abend zum Ereignis macht.