Baugemeinschaften – eine realisierbare Utopie?
Lutz Hübner gilt als einer der meist gespielten deutschsprachigen Dramatiker. Mehr als 30 Stücke verfasste er, zum großen Teil für ein jugendliches Publikum. In jüngerer Zeit schrieb er mehr für den Abendspielplan, wobei er Themen aufgriff, die in der Luft liegen: die Desorientierung in der modernen Arbeitswelt (Die Firma dankt) oder die Liebe jenseits der 50 (Blütenträume). Hübner stellt der eigentlichen kreativen Arbeit, dem Schreiben des Stückes, immer eine gründliche Recherche voran, die er immer in enger Zusammenarbeit mit Sarah Nemitz und dem uraufführenden Theater betreibt. Für Richtfest haben sie sich in der Welt des Wohnens umgesehen und erklären lassen, warum es heutzutage Menschen dazu treibt, mit Wildfremden zusammen ein großes Haus zu bauen und es dann aufzuteilen. Was macht das Thema Baugemeinschaft interessant für die Bühne? Für Hübner drängen sich in dieser Konstellation Fragen auf, die gesellschaftlich virulent sind. Ein Mikrokosmos, aus dem man schwer aussteigen kann, wenn man bei den anderen unerträgliche Seiten entdeckt. Und wo beginnt die Verantwortung für die anderen, wo endet die Toleranz? „Das Wohnen spiegelt ja auch wider, wie ich die Welt sehe. Wo bin ich zu Hause, wo habe ich meinen Rückzugsort? Dieses Einsam und Gemeinsam hat über das Zwischenmenschliche hinaus auch immer eine politische Ebene“, so der Autor. Und bezieht daher mit der Baugemeinschaft auch den Blick auf das Haus Europa mit ein.
Eine Gruppe von elf recht verschiedenen Personen findet sich in Richtfest zusammen. Da ist Ludger, der Professor für Soziologie, in braunem Cordanzug (Bernd Rademacher), finanziell von seiner Frau Vera abhängig. Anke Zillich, in schwarzem Hosenanzug und mit gestylter Blondhaarfrisur, gibt die PR-Frau einer Stiftung selbstbewusst und zielgerichtet. Frank (Roland Riebeling) und Mick (Henrik Schubert) sind das schwule Musikerpärchen, das lange auf das eigene Heim gespart hat. Michael Schütz ist überzeugend der kleinkarierte Finanzbeamte Holger, der sich locker-optimistisch gibt und mit dem Projekt eine Chance sieht, auch mit anderen gemeinsam alt zu werden. Scheint doch seine Ehe mit Birgit (Katharina Lindner), der Leiterin einer Jugendhilfe, in einer Sackgasse zu stecken. Was sich in den ständigen Streitereien über die richtige Erziehung der renitenten Teenagertochter Judith (Zenzi Huber) zeigt. Charlotte, Kneipenwirtin im Ruhestand, wird von Henriette Thimig gespielt – mal als warmherzige Kümmerin, dann wieder auf Abstand gehend, nur mit dem Wunsch, es einfach schön haben zu wollen. Das junge Paar Mila, Juristin im Referendariat und Mutterschaftsurlaub (Kristina-Maria Peters) und ihr sich seiner Frau gegenüber immer mehr autoritär zeigender Ehemann Christian, ein Assistenzarzt (Marco Massafra) ergänzen die bunt zusammen gewürfelte Gruppe. Felix Rech ist der Architekt Philipp – auch er will in das Traumhaus einziehen und hat hohe Ansprüche an die Bauästhetik. Nach anfänglicher Euphorie schleichen sich schon bei den recht verschiedenen Vorstellungen zur Konzeption der eigenen vier Wände Misstöne ein. Die persönlichen Probleme der Baugemeinschaft – das junge Paar erwartet ungeplant ein zweites Kind und ist finanziell auf die Hilfe der besser Betuchten angewiesen, Charlotte erleidet einen Schlaganfall und wird zum Pflegefall – lassen die Gruppe auseinander brechen und das Projekt scheitern.
Anselm Weber verzichtet in seiner Inszenierung ganz auf Requisiten und näher eingerichtete Spielorte. Die kahle Bühne wird von weißen Papierbahnen begrenzt, Schrifteinblendungen weisen auf Szene und den jeweiligen Ort der Handlung hin. Die Schauspieler treten von der ersten Reihe im Zuschauerraum her auf – einzeln oder in Gruppen. Das Ensemble ergänzt sich sehr gut, manche schlagfertigen Wortwechsel sind überaus unterhaltsam, das Publikum nimmt amüsiert an den mehr und mehr zu tage tretenden Diskrepanzen Anteil. Die Charakterisierung der Personen bleibt aber oft zu klischeehaft, was natürlich einen besonderen Wiedererkennungseffekt hat.
Zum Schluss gibt es ein irritierendes, merkwürdiges Endzeitszenario: die Papierwände werden heruntergerissen, Nebel wallen, es schneit. Alle Mitspieler sagen noch einen bedeutungsvollen Satz zum Thema Wohnen – warum? Das bleibt unklar.