Kleiner Tod und eitle Gockel
Ben Van Cauwenbergh profiliert sich in Essen mit dem Aalto Ballett Theater als Entertainer unter den NRW-Ballettdirektoren. Beim Publikum kommt das gut an, und so verlängerte die Stadt den Vertrag des Belgiers gerade um sechs Jahre. Neben seinen schrillen Musical-nahen Revuen bringt der Hausherr gelegentlich neoklassisches Ballett auf die Bühne. Nach Lichtblicke heißt der Dreiteiler nun Zeitblicke, wofür auch immer der Titel stehen mag. Denn zwei der drei Choreografien sind bereits Anfang der 1990er Jahre entstanden, Ji?í Kyliáns Petite Mort und Christopher Bruces Rooster. Zwei Dauerbrenner bekanntlich, in denen es auf unterschiedliche Weise erotisch knistert. Die subtile Delikatesse von Kyliáns ersterbendem Seufzer auf dem Höhepunkt sinnlicher Lüste bleibt unvergleichlich im Zusammenspiel von Mozarts Musik mit den frechen Paarungen in unbequemen Dessous. Quietschend rollten die Rokokoroben durch den Raum, und doch war das Sehvergnügen fast ebenso groß wie bei Kyliáns Sechs Tänzen vor wenigen Monaten in Nürnberg.
Rooster als Rausschmeißer – das passte besonders gut an Weiberfastnacht (wo auffällig viele Herren ohne Krawatte im vornehmen Aalto-Theater saßen und einige, wie aus zuverlässiger Quelle kolportiert wurde, das gute Stück in der Pause auf der Toilette in der Hosentasche verschwinden ließen). Immer noch garantieren die herum stolzierenden Gockel und die schnippischen, koketten Teenies mit ihren wippenden Pferdeschwänzen und Mini-Faltenröckchen ausgelassenes Gelächter und beste Laune, auch wenn an diesem Abend die Evergreens der Rolling Stones bedauerlicherweise übersteuert aus den Lautsprechern schollen.
Als Essener Auftragswerk kreierte Patrick Delcroix End-Los. Aufrecht, aber sehr zurückhaltend steht Elisa Fraschetti zu Beginn unter einem Lichtstrahl vor dem Vorhang, wird dann fast unmerklich hineingezogen in eine finstere Welt voller technischer Gerätschaften. Schemenhaft werden Gestalten sichtbar. Szenen von vier Paaren, die wie wilde Tiere über einander herfallen, spielen sich unter fahlen Lichtbündeln zu wuchtigen Paukenschlägen über einem motorischen Ostinato ab. In dem Überlebenskampf, in dem jeder – so das Wortspiel des Titels – ohne Ende seinem „Los“ ausgeliefert ist, bleibt schließlich nur die eine – Fraschetti – aufrecht, selbstbewusst stehen. Delcroix fängt heutiges Leben mit beängstigender Brutalität, Wucht, Dynamik und Schonungslosigkeit ein.
Die Essener Kompanie kommt sehr handfest, kernig und athletisch über. Die technische Qualität, Eleganz und Vielseitigkeit zeitgenössischen Balletts, wie es ehedem hier zelebriert wurde, fehlt Van Cauwenberghs Truppe. Diese Nische füllt nun nebenan das Dortmunder Ballett.