Übrigens …

Identity 2.0 im Bielefeld, Stadttheater

Gefangen im Netz

Das erste und das letzte Bild von Gregor Zölligs neuer Choreografie Identity 2.0 sagen eigentlich alles: wer sie sind, zeigen die sechs Tänzer und vier Tänzerinnen zu Beginn sehr unterhaltsam und sympathisch in einem Potpourri kurzer Soli zwischen Street- und Modern Dance. Wie die virtuelle Welt sie verändert und verbiegt, Realitäten zu Schattenbildern verkommen – das offenbart das Finale: vom Schnürboden schwebt eine riesige Metallkonstruktion, ein chaotisch ungeordnetes, labyrinthisches Netz, durch das das bunte Völkchen klettert, irrt, abstürzt in von oben regnenden Cybermüll und zugedröhnt von der Alltagsdroge „www.“ In Blautöne getaucht sind die langen, dunklen Schatten im Netz. Die menschlichen Gestalten verschwimmen hinter Gaze zu Schemen. Das ist ein sehr eindrucksvolles Bild des kurzen Tanzstücks mit dem hochtrabenden Anspruch, Platons philosophisches „Höhlengleichnis“ ins Heute zu transponieren: Homo sapiens in virtuelle Welten driftend. Der Blick ist auf den Monitor fixiert. Das Denken wird verengt und verfremdet, sodass nur mehr Abbilder der globalen Realität wahrgenommen werden, die eigene Identität verloren geht.

Wie Videoclips folgen Episoden Schlag auf Schlag: die zarte, blonde Brigitte Uray tritt mit rotem Pagenkopf und großer Sonnenbrille auf und haucht ins Mikrofon „Klick mich an!“ Tiago Manquinho tanzt traumverloren. Simon Wiersma – mit blonder Mähne, blauem Miniröckchen und Sportbustier über dem Waschbrettbauch – behauptet, er sei „ein ganz normaler Mann“. Dirk Kazmierczak wird zur Hydepark-Hyäne, die auf einem Metallstuhl stehend immer wieder das Götz-Zitat hysterisch in die Runde brüllt. Andere robben durch den Raum, eine Glasscheibe vor sich herschiebend, die sie von der übrigen Welt trennt und zu den ulkigsten Verrenkungen zwingt. Alle lichten eigene Gliedmaßen in Kopiergeräten ab, drucken sie als Handzettel hundertfach aus, um sich öffentlich zu vermarkten. „Ich wüsste niemanden, der sich selbst gehörte“ heißt es treffend in Peter Lichts Gedicht „Begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses“ auf der letzten Seite des Programmhefts.