Weltklasseballett in der NRW-Landeshauptstadt
Zehn Menschen in einem raumhohen Kettenkäfig. Barfuß tasten sie sich in schwarzen Kleidern – knappe Pumphose, langer Rock, enge Shorts, flatterndes Hemdchen – lautlos lauernd durch das kleine Quadrat. Ab und an setzt einer mit ausladenden Gesten zum raumgreifenden Tanz an. Als wolle er das Schweigen brechen, sich outen. Die Kettenvorhänge klirren und rasseln, wenn andere rückwärts aus dem Gefängnis treten. Hier zeigen sie ihr wahres Gesicht, das in dem abgeschotteten Areal verborgen bleibt. Nun fetzen und balgen sie sich, kämpfen, markieren Stärke und Macht. Irisierend und zuweilen irritierend spitz, aber auch mit betörend sanften Naturklängen durchwebt, ertönen Bernd Alois Zimmermanns letzte Orchesterskizzen Stille und Umkehr. Urplötzlich lösen sich alle Ketten gleichzeitig aus der Verankerung. Mit voller Wucht kracht das Metall auf die Bühne. Nahtlos geht Zimmermanns beharrliches Ostinato und Klopfen in den ohrenbetäubenden, motorischen Blechbläser- und Paukenchor Anger des japanischen Filmkomponisten Ryuichi Sakamoto über. Zu der Orchesterfassung von Arvo Pärts sakralen Fratres, setzt sich das archaisch anmutende Kriegsszenario zunächst fort. Manche posieren schließlich auf den inzwischen aufgetürmten Kettenbergen. Einige umarmen sich, ziehen sich in die Kulissen zurück, als wäre die Urgewalt des Gefühlsgewitters gebrochen. Übrig bleibt die eine, die ihre namenlose Wut aus allen Gliedmaßen, Gelenken, Muskeln, Sehnen in den Raum schleudert: Yuko Kato – die unvergleichliche Tänzerin, die seit Mainzer Zeiten in der Schläpfer-Kompanie immer von Neuem staunen macht ob ihrer vielschichtigen Ausdruckskraft und technischen Möglichkeiten.
Einmal mehr ist es Martin Schläpfer gelungen, für ein Auftragswerk seiner Kompanie in der internationalen Tanzszene fündig zu werden. Mit dem Israeli Uri Ivgy, Extänzer der Kibbutz Contemporary Dance Company, und dem Niederländer Johan Greben von Het Nationale Ballet lud er ein Choreografen-Team vom Kaliber Lightfoot/León an den Rhein ein. Die Düsseldorfer Uraufführung von Backyard (Innenhof) – Chiffre für Geheimplatz intimster Gedanken und Gefühle - ist eine glänzende Visitenkarte des in Holland ansässigen Teams, das seit 2003 gemeinsam choreografiert, aber bisher noch von keiner deutschen Kompanie eingeladen worden ist. Dass die Amsterdamerin Nanine Linning in Voice Over (siehe hier) in Osnabrück kürzlich mit verblüffend ähnlicher Optik und demselben Duktus ihrer zehn Tänzer, freilich zu einem ganz anderen Thema, arbeitete, scheint allenfalls möglichen Trends im niederländischen Tanz geschuldet.
Martin Schläpfers Violakonzert von 2002 auf Alfred Schnittkes Komposition gehört zu den Meisterwerken seiner Mainzer Zeit. Wie Backyard und das abschließende, unterhaltsame Ballett auf John Adams‘ populäres gleichnamiges Minimal-Musik-Stück Fearful Symmetries von Nils Christe ist es eine weitgehend abstrakte Choreografie für eine größere Gruppe von Solisten. Bewundernswert die ästhetische Schönheit der Körper – gleich zu Beginn die drei im Profil hockenden Damen! – und die subtilen Bezüge zu den musikalischen Strukturen und Details. Vorzüglich ordnen sich vor allem der junge, geschmeidige Kanadier Paul Calderone, auffälligster Neuzugang dieser Saison, und der dunkelhäutige Chidozie Nzerem in die Reihe der Tänzer der Uraufführung ein.
Eine Meisterleistung gelingt an diesem Ballettabend mit anspruchsvoller zeitgenössischer Musik auch den Düsseldorfer Symphonikern unter dem drahtigen Kapellmeister Christoph Altstaedt und ihrem Solobratschisten Gabriel Bala, Solist des Schnittke-Konzerts.