Kleine Truppe wagt sich an großen Klassiker
Dramatische Klänge in furiosem Tempo aus dem Orchestergraben stimmen ein auf ein Szenario zwischen finsterem Terror und heiterem Rokoko. Im Prolog tanzen auf der düsteren Vorderbühne die böse Königin Carabosse (Marcelo Moraes), ihr devoter Gemahl (Matthew Williams) und beider Sohn, Prinz Desiré (Huy Tien Tran). Hinten erstrahlt die heile Welt der Hellen Königsfamilie (Königin Hayley Macri, König Leszek Januszewski und Prinzessin Aurora Yoko Furihata). Prinzen, Hofdamen und „Kreaturen“ samt einem zauberhaften blauen Vogel (André Baeta) sind Mitstreiter im Kampf zwischen Böse und Gut. Ein Happy End ist mit der Hochzeit von Aurora und Prinz Desiré und ihrer Krönung zum Hellen Königspaar gesichert, während die ohnmächtig wutverzerrte Fratze von Carabosse, eingesperrt im Käfig des Vögelchens, über den Gazevorhang zittert.
Weil Ricardo Fernando mit seiner nur 14-köpfigen Truppe keinesfalls ein klassisches Ballett original aufführen kann, hat er mit Hilfe von Dramaturgin Maria Hilchenbach Tschaikowskys Dornröschen ein bisschen anders erzählt. Das Märchenhafte bleibt - mit Referenzen zuhauf – erhalten. Das ist gut so, passt es doch ideal zur populären Tschaikowsky-Musik. Auf dem Fest, bei dem fünf junge Adelige um die Hand der schönen Aurora anhalten, taucht plötzlich Carabosse mit großem Gefolge auf. Ihr Sohn soll der Auserwählte sein. Trotz heftiger Bedenken der fürsorglichen Patin (Lara Lioi) signalisiert Aurora Zustimmung. Im Handstreich entführt die schwarze Meute sie in ihre Welt. Erst die Befreiung des Zaubervogels ermöglicht den Sieg über Carabosse. Gut triumphiert einmal mehr über Böse.
Choreografisch mischt Fernando klassische Elemente mit Akrobatik. Da kann man hohe Sprünge, aufwendige Hebungen, Würfe und Spagat in der Luft sehen. Vor allem überzeugen mit großer Aura der als prächtiger Pfau verkleidete Marcelo Moraes und das junge fernöstliche Paar Furihata und Tran. Aber wenn die entzückenden Rokoko-Damen und –Herren über den Boden rutschen oder gar Purzelbäume schlagen, wirkt es denn doch ein bisschen fehl am Platz. Überhaupt sind die Mühen der anspruchsvollen Technik so sichtbar, dass es kaum je zu den fließenden, leichtfüßigen Linien reicht, die die so wunderbar tänzerische Musik vorgibt. Etwas mehr erzählende Pantomime – schön angelegt schon von Patin Lioi - wäre durchaus wünschenswert. Dorin Gals sparsames Bühnenbild mit wenigen zart bemalten transparenten Stoffbahnen und seine apart verfremdeten Rüschenkleider und Uniformen in Pastellfarben atmen romantische Eleganz. Das Philharmonische Orchester begleitete an diesem Abend etwas polternd. Dennoch ist dieser kleine Klassiker eine sehenswerte Bereicherung des NRW-Spielplans und steht als Wiederaufnahme auch in der kommenden Saison auf der Agenda.