In der Wolke tanzen
Unaufhörlich quillt weißer Schaum aus einem weißen Rohr, während die Zuschauer ihre Plätze auf dem Halbrund der Tribüne einnehmen. Erst als eine dicke Wolke im Salzlager der Kokerei Zollverein liegt, wird die Schaummaschine gestoppt, das Licht verlöscht. Hoch über den Köpfen ist jetzt ein knisternder Sound vernehmbar, sehr langsam wird es heller und vor der Wolke liegt eine Tänzerin in Weiß. Sie bewegt sich kaum merklich, wie auch zunächst die Wolke. Doch schon nach kurzer Zeit erweist sich die Wolke als wesentlich aktiver. Sie dehnt sich aus, zieht sich wieder in die ursprüngliche Form zurück, wölbt sich.
In Soapéra loten die Choreographin Mathilde Monnier und der Künstler Dominique Figarella die Grenzen zwischen Tanz und Bildender Kunst aus. Und das gelingt ihnen nicht nur sehr beeindruckend, sondern auf eine ebenso feine wie poetische Weise. Denn die Wolke, die zunächst wie eine trickreiche Installation aussieht, lebt tatsächlich. Nach und nach gibt die Wolke die drei Tänzer frei, die unter ihr liegen und tanzen. Immer näher schieben sie die Wolke an die erste Publikumsreihe heran. Dort sitzt die offizielle Kinderjury der Ruhrtriennale und auch in die kommt langsam Bewegung. „Ey, Alter“, entfährt es einem Mädchen, das sich vor der Wolke weit in ihrem Stuhl nach hinten biegt. Doch als ihre Nachbarin anfängt, mit beiden Händen in den Schaum zu greifen, legt sie auch los. Beide verteilen den Schaum freigiebig nach hinten weiter, denn auch Damen und Herren in der zweiten und dritten Reihe hätten jetzt gern gewusst, wie er sich anfühlt. Nass. Wie Schaum. Und er reizt die Atemwege, weshalb ein munteres Gehuste und Gelächter anhebt. Kurz: Es dauert ein wenig, bis das Publikum sich wieder den Tänzern auf der Bühne zuwendet. Die tanzen zwar hervorragend, aber jetzt weiter mit dem Schaum spielen, wäre an sich auch nicht ohne Reiz.
Die Tänzer haben inzwischen den Schaumberg auseinander genommen, tanzen hindurch, verschwinden in den Wolken, tauchen wieder auf. Ihre Bewegungen sind fließend ohne Sprünge und binden sich organisch in die Bewegungen der Wolkenfetzen ein. Die werden langsam weniger und bevor sie sich ganz aufgelöst haben, gibt’s Nachschub. Diesmal fällt der Schaum auf eine große Platte, die die Tänzer anschließend gegen die Rückwand schleudern und damit für Schneegestöber sorgen.
Mit dem Aufprall setzt der Elektroniksound aus und Musik ein. Je mehr sich der Schaum verflüchtigt, desto intensiver und aggressiver lässt Monnier ihre Vierergruppe tanzen. Überhaupt lieben Monnier und Figarella offenbar den Kontrast. So wie das harte Elektronik-Geknister nur schwer zu der schwebenden Wolke passt, so bizarr nehmen sich jetzt die kantigen Bewegungen zur Musik aus. Die verträumte Verspieltheit des Beginns ist beim Schlussbild schließlich verschwunden: Es zeigt drei Tänzer, die den vierten samt Platte an die Wand drücken. Und die Schaumreste? Wirken inzwischen ebenso traurig, wie verharschter Schnee.
Soapéra dauert nur etwa 50 Minuten, doch in denen geben Mathilde Monnier und Dominique Figarella ihrem Publikum erstaunlich viel zu sehen und zu erleben. Die Performance ist offen, aber nicht beliebig. Kreativ, aber nicht überfrachtet. Soapéra bietet reines Phantasietraining. Dazu ein bisschen was zum Spielen. Und auch ein wenig zum Gruseln. Nach dem unterkühlt berechneten Bildermarathon von Europeras ist Soapéra eine willkommene Erfrischung, um wieder an die Magie und Kraft von Theater zu glauben.