Das Ballett im Revier stellt sich vor
Einen Traumstart legte Bridget Breiner als Nachfolgerin von Ballettchef Bernd Schindowski mit ihrem neuformierten „Ballett im Revier“ an Gelsenkirchens Musiktheater im Revier hin. Augenzwinkernd wählte sie schon den Titel dieser kleinen „Gala“ zur Vorstellung ihrer zwölf Tänzerinnen und Tänzer. Im ersten Gang geht jede (Auto-)Reise los. Mit dem ersten Gang beginnt aber auch jedes kulinarische Fest. Raffinierte Gaumenkitzler wie Pas de deux und Solos wechselten mit Hors d‘oeuvres für kleine Gruppen bis hin zum Grand Finale für alle.
Durch den Zuschauerraum stürmen die „Entertainer“ in schwarzen Anzügen und schwarzen Hüten auf die Vorderbühne, verbeugen sich mit individuellen kleinen Eskapaden und verschwinden hinter dem roten Vorhang. Die Nummernfolge beginnt und endet mit Choreografien der Amerikanerin, die bis vor kurzem noch gefeierte Erste Solistin des Stuttgarter Balletts war, aber sich auch seit Jahren international ein guten Namen als Choreografin macht. Zum Auftakt ihr Duett La Grande Parade du Funk von 2009, das - sehr passend zur afroamerikanischen Funk-Komposition von Chris Brubeck – der drahtige, dunkelhäutige Joseph Bunn aus USA mit der Kanadierin Aidan Gibson sehr schmissig tanzt. In dem für sie kreierten Solo Architektur der Stille von Edward Klug zeigt Bojana Nenadovi? – Deutsche mit slowenischen Wurzeln - stupende Geschmeidigkeit, athletische Disziplin, Eleganz und Präzision. Witzig und kokett kommt die Japanerin Maiko Arai mit drei Verehrern (dem Italiener Fabio Boccalatte, dem Taiwanesen Min-Hung Hsieh und dem Franzosen Hugo Mercier) daher in Breiners Sirs.
Temperamentvoll präsentiert der Brasilianer Junior Demitre die Uraufführung des sehr anspruchsvollen, lateinamerikanisch verbrämten Solos Cultural Cannibalism seines Landsmanns L. F. Bongiovanni auf eine sehr originelle Bearbeitung einer Bach-Partita (mit Gitarre und Geige). Das oft choreografierte Adagietto aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie wirkt in Renato Zanellas Pas de deux leicht kitschig, fordert aber höchste neoklassische Virtuosität – brillant geboten von Bojana Nenadovi? mit Gast Wieslaw Dudek! Eine große Herausforderung bildet immer wieder William Forsythes Werk. Einen kurzen Pas de deux aus In the Middle, somewhat Elevated von 1987 mit der Musik von Thom Willems meistern die Schweizerin Kusha Alexi und der Spanier Iván Gil Ortega (Artist in residence) mit Verve. Faszinierend die Uraufführung des Pas de deux des Berliners Raimondo Rebeck Weißer Schatten, mit dem Joseph Bunn und die junge Deutsche Alina Köppen (wie Xiang Li und Min-Hung Hsieh aus dem Ballett Schindowski übernommen) beeindrucken.
Drei besondere Leckerbissen serviert Breiner noch nach der Pause. Die berühmte Sternschnuppe (Fugaz) des Spaniers von Cayetano Soto tanzten vier Damen und zwei Herren sehr anrührend mit weich fließenden Bewegungen und schönen „Clustern“. Zu der brüchig heiseren Stimme der französischen Chansonière Barbara auf das Solo Tué von Marco Goecke gab die Ballettchefin selbst eine frappante Kostprobe ihrer meisterhaften Körperkunst. Das Ensemblestück Blau Blue Bleu, das Breiner ihrer neuen Truppe sozusagen auf die Körper choreografiert hat, war ein anspruchsvoller, witziger Rausschmeißer – amüsant vor allem die steifen Papp-Tellertutu, in dem erst eine, dann aber alle Damen und sogar vier Herren sich „ganz klassisch“ zu fühlen schienen. Begleitet wurde das kleine Ballett von Dvo?áks Amerikanischem Streichquartett, live musiziert von Mitgliedern der Neuen Philharmonie Westfalen.
Deutlich sichtbar sind unterschiedliche Prägung, Erfahrung und Qualität der Tänzer. Aber Breiner hat genügend Know-How im Umgang mit unterschiedlichsten Kompanien und wird ihre Schar sehr schnell zu einer homogenen Truppe formen, ohne ihre individuellen Stärken und Charaktere weg zu „drillen“. Wie sensibel sie mit Tänzern umzugehen weiß, zeigte bereits dieser Erste Gang. Danach hat man richtig Appetit auf mehr. Im Januar tischt Breiner den Hauptgang der Saison auf. Jetzt wird Vollgas gegeben, um ihre Geschichte von Aschenputtel Ruß als Team flüssig und unterhaltsam erzählen zu können.