Übrigens …

For the Unsaid, Birke, Auftaucher im Folkwang Universität der Künste

Fernöstliche Poesie und männliche Muskelspiele

Das neue, dreiteilige Programm des Folkwang Tanzstudios beginnt mit einer hinreißenden Bilderflut fernöstlicher Poesie und Kampfsportästhetik in Fang-Yu Shens For the Unsaid. Vor dem bühnenhohen Gemälde einer Schneelandschaft unter endlos weitem Himmel mit schemenhaft sichtbarem Vollmond tanzen sich zu partita-artigen Celloklängen sieben superbe Tänzer aus Alltagslangeweile in eine träumerische Trance. Wunderbar die so authentisch fernöstlich wirkenden Solos und das Duett von Ching-Yu Chi und Chang-Wen Hsu, brillant das Kabinettstückchen von Sergey Zhukov auf einem Rollerblade-Schuh (am rechten Fuß) und die kraftvollen Kampfsportsprünge und -posen von Darwin Jose Diaz Carrero. Aus plötzlichem Stillstand entstehen reizvolle Tableaus.

Die Taiwanesin Fang-Yu Shen begann schon mit 16 Jahren zu choreografieren. Sie war 2011 die erste Absolventin des Folkwang-Studiengangs „Tanzkomposition“ und erhielt bereits mehrere Auszeichnungen.  Ein erstaunliches Talent!

Reichlich zwanzig Minuten nur dauert die Uraufführung des Abends, Birke von Malou Airaudo, der unvergesslichen Pina-Bausch-Tänzerin der 1970er und 1980er Jahre. Seit 1984 unterrichtet sie an der Folkwang-Tanzabteilung, tanzte viele Jahre lang aber auch noch die für sie kreierten Rollen beim Tanztheater Wuppertal.

Zu Holzscheiten zerhackte Birkenäste liegen verstreut auf der Bühne. Aus dem Off hört man es knistern und rascheln: der gefällte Baum wird offenbar weiter entlaubt und zerstückelt. Später ist auf dem Rückprospekt ein Blatt-loses Bäumchen zu sehen (keine Birke - vielleicht der zierliche Nachbar, der nun genug Lebensraum zum Wachsen hat?). 

Es spricht eine große Sehnsucht nach Nähe und Liebe aus den Tanzbildern: die winzige Tsai Wei Tien steht reglos zwischen den Astteilen. Der baumlange Julian Stierle nähert sich ihr. Sie springt immer wieder in seine Arme, sinkt schräg auf seinen Rücken. Hinten sitzt auf dem Baumstumpf Luiza Braz Batista, hält die Hände wie in tiefer Trauer vors Gesicht. Immer mehr Menschen kommen - tanzen, rasten auf einem kleinen Birkenpflock (erstaunlich, wie sicher sie die Balance halten!) - trauern wohl auch um den toten Baum. Eine sammelt die Scheite auf, wiegt sie zärtlich im Arm wie ein Baby...

Mit 16 Tänzerinnen und Tänzern anstelle der originalen zehn hat Henrietta Horn ihren großen Erfolg von 2001 Auftaucher als temporeichen, fetzig witzigen Rausschmeißer einstudiert. Erst stehen tatsächlich, wie damals, acht Stühle auf der Bühne. Aber dann stellt jemand - einladend - noch mehr dazu. Da entspinnen sich witzige, berührungslose Bewegungs-Dialoge - am schönsten das „Duell“ zweier Machos nur mit degenscharfen Blicken und eine rasante Tango-Nummer für alle. Ein Großsprecher wird von Kastagnetten, die aber nur zirpen und klappern wie die Warnung von Klapperschlangen, mundtot gemacht. Später entfacht er ein furioses Trommelfeuer auf seinem Körper und der Stuhlkante. Das Finale vereint alle Schreihälse, Streithähne und Körperkünstler wie zum temperamentgeladenen, chaotischen Karnevalsumzug. Big-Band-Fanfaren und Drummer-Rhythmen heizen die Stimmung an. Tosender Applaus!