4 Feet Under im Theater Münster

Der Tod (be-)trifft jeden

Das kann doch nicht alles sein: leben - sterben - und dann für immer vier Fuß tief unter der Erde liegen. Obwohl: Edvard Munch etwa konnte sich mit dem Gedanken anfreunden, "eins zu werden mit ihr... und aus meinem zerfallenden Körper würden Pflanzen wachsen - und Bäume und Blumen.... und nichts würde aufhören - das ist Ewigkeit".

Die Fantasien der Menschen über ein Leben nach dem Tod sind Legion. Die schwedische Choreografin Charlotta Öfverholm hält sich an den amerikanischen Sciencefiction-Film Gattaca, in dem der Raumfahrer Vincent Freeman behauptet, jedes Atom des menschlichen Körpers sei einst Teil eines Sterns gewesen und kehre dorthin zurück. Am Ende des Tanzstücks gleißen Bühne und Zuschauerraum hell. Fast "wie Gott sie schuf" schreitet die Kompanie ins "Firmament" aus strahlend hellen Scheinwerferreihen. Zu Beginn hatte eine freundliche Frauenstimme das Publikum auf eine kleine Reise über eine Landstraße mitgenommen (Video: Anders J. Larsson): "Lasst den Alltag hinter euch. Besinnt euch auf das, was euch wirklich wichtig ist... Ihr werdet ganz ruhig..."

Zwischen Yogaübung und Himmelfahrt liegt eine Folge kurzer Szenen, die Todesahnung und -furcht der Menschen inmitten fröhlicher Lebenslust andeuten. Immer wieder trippeln und marschieren kleine Gruppen offensichtlich auf ein Todeslager zu und kämpfen einzelne verzweifelt gegen tödliche Infekte (Maria Bayarri Pérez, Tommaso Balbo).

Gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern hat Öfverholm ihr Tanzstück entwickelt - deutlich sichtbar. Denn hier dürfen sie besondere Talente zeigen. So singt der stets fröhliche Marcelo Moraes mehr als respektabel ins Mikro an der Rampe, und man erlebt ihn als behende seilkletternden Akrobaten. Sandra Guénin bezaubert als klassische Ballerina. Ihr kleines Solo mündet in ein raffiniert modernes Duett mit Erik Constantin. Die lebhafteste Szene ist eine fast rührend epigonale Hommage an Pina Bausch: Anna Caviezel stopft sich aus einem Plastikeimer und Sahnesprühdosen Schlagsahne in den Mund, bietet Zuschauern davon an, verteilt Stückchen Schokolade und Popcorn und stellt Fragen, die sehr brav beantwortet werden.

Freilich: betroffen machen diese Bilder nicht. Neue Ansätze zu dem vieldiskutierten philosophischen Thema sind nicht auszumachen. Auch tänzerisch wartet man vergeblich auf die besonderen Akzente und die sensible Ästhetik, die den zeitgenössischen Tanz Skandinaviens auszeichnet. Statt feinen Humors und ulkiger Eskapaden eher Banalität (angefangen beim Titel) und viel "déjà vue". Dabei hat sich Öfverholm als Tänzerin international einen guten Namen gemacht, arbeitet seit 1995 mit ihrer eigenen Kompanie in Stockholm und erfolgreich als Gastchoreografin. Fraglos arbeitet sie solide, nutzt den Raum optimal und berücksichtigt die Individualität der Tänzer. Aber Tanz von einem andern Stern sieht anders aus als in diesen Sternenfantasien. Den sehr engagierten Tänzern von Henning Paars neuer Münsterscher Truppe allerdings flogen die Herzen der Zuschauer zu.