Anstrengender Tanz-Marathon
Zwei Möglichkeiten. Entweder ich hatte einen schlechten Tag. Oder bei diesem fünfteiligen (!!) Ballettabend handelte es sich tatsächlich um die nervtötendste Ballettproduktion seit Diane Elshout und Frank Händeler 1998 im Essener Aalto-Theater ihre Gedankensprünge präsentierten.
Der Abend startet vielversprechend. Lässig, fast skizzenhaft hingeworfen kommt Martin Chaixs Choreographie We were right here!! daher. Auf den Klängen des ersten Satzes zu Alfred Schnittkes Konzert für Chor fliegt die 12köpfige Tänzergruppe auf die Bühne, driftet auseinander, um sich zu immer neuen Gruppierungen zusammenzufinden. Das Ganze atmet, lebt, hat Schwung und besitzt vor allem eine angenehme, unaufdringliche Menschlichkeit. Es sind gerade die unprätentiösen, alltäglichen Gesten, ein Kreis, eine Umarmung, die zwischen den vielen flüchtigen Momenten Gefühle wie Schutz und Geborgenheit vermitteln.
Doch nach diesen famosen fünfzehn Minuten wird’s zäh. Rebound – Topple – Splash von Antoine Jully zu Igor Strawinskys Dumbarton Oaks-Konzert hinterlässt keinen bleibenden Eindruck, ist aber immerhin kurzweilig anzuschauen. Die symmetrischen Personen-Gruppierungen erinnern an Balanchine, ebenso die lang gestreckten Beine, die leider nach und nach unter scheußlichen Pannesamt-Röcken verschwinden. Insgesamt wirkt das Stück zu durchstrukturiert, um berühren zu können. Ähnlich liegt der Fall bei Pond Way von Merce Cunningham zur strapaziösen New Ikebukuro-Musik für drei CD-Player von Brian Eno. Vor einem asiatisch inspirierten Bühnenprospekt von Roy Lichtenstein illustrieren die Tänzerinnen und Tänzer das Leben rund um einen Teich. Mal wiegen sie sich wie Schilf im Wind, mal hopsen sie wie Frösche. Doch ist der Tanz in so hohem Maße stilisiert, dass die Choreographie sich immer mehr zu einer abstrakten, unterkühlten Meditation verdichtet.
Nach Cunninghams Teich-Studie verlassen die ersten Besucher das Opernhaus. Die einen sind genervt, die anderen einfach erschöpft. Und das ist verständlich. Martin Schläpfers kleinteilig programmierte Tanzabende lassen dem Besucher nicht viel Zeit, sich auf einen choreographischen Stil einzustellen. Wer Merce Cunningham erst kennen lernen muss, sollte sich sputen. Denn nach etwa dreißig Minuten steht die nächste Herausforderung schon auf der Bühne. Und die heißt in diesem Fall Amanda Miller. Crop ist eine verschrobene und auf den ersten Blick unverständliche Choreographie über „den Garten als Metapher“. Das Käuzchen ruft, eine Tänzerin lacht kreischend und mitten im Parkett steht eine ältere Dame auf und schiebt sich mit stoischer Gelassenheit durch die halbe Reihe zum Ausgang. Es ist ein einzelner, stummer Protest gegen eine Choreographie, die so hoffungslos introvertiert ist, dass man fürchtet, Amanda Miller könnte der Schlag treffen, wenn man ihr erzählen würde, dass es außer ihr und den Tänzern da draußen hinter dem Vorhang auch noch ein Publikum gibt.
Den Abschluss bildet Inclination von Regina van Berkel, eine Hommage an einen vom Blitzschlag zerstörten Baum in New Hampshire. Nach Amanda Millas ausgesprochen speziellem Bewegungsvokabular wirkt Regina van Berkels Tanzsprache fast versöhnlich, wenngleich in der Gestik ein wenig affektiert. Trotzdem ist der Geduldsfaden zu diesem Zeitpunkt bereits derart gefährlich dünn, dass man sich hemmungslos zu Schlagersängerin Alexandra zurücksehnt, die ein ähnliches Thema in dreieinhalb Minuten knackig zu verhandeln wusste.
b.15 lässt einen erschöpft und ratlos zurück. Das Rheinballett tanz so gut wie lange nicht, auch an diesem widerspenstigen Abend. Das Ensemble ist in Topform und besteht darüber hinaus aus hervorragenden Tänzerinnen und Tänzern. Dennoch wünschte ich mir bei Amanda Miller zum ersten Mal seit Martin Schläpfers Amtsantritt ein waschechtes Handlungsballett zurück. Es muss ja nicht gleich wieder Youri Vámos klumpige Letzte Zarentochter sein. Aber ein bisschen weniger überreizte Intellektualität täte nach fünfzehn hochkomplexen Ballett-Programmen einfach mal gut. „Mensch“, ruft meine Nachbarin in die inzwischen handelsüblichen Düsseldorfer Ballettwunder-Bravos, „ich hatte gehofft, hier heute Abend meine Alltagsdepression loswerden zu können. Das ging ja voll nach hinten los.“ Merke: b.15 ist kein Trostspender. Aber Herrentorte gibt’s ja schließlich auch nicht beim Pathologen.