Für Pina: "Addio Addio Amore"
Zweimal im Jahr lädt Pact Zollverein zu einem Atelier-Abend mit Werkstattcharakter ein. Die Reihe bietet neuer Kunst eine Plattform und versteht sich als ein choreografisches Experimentierfeld. Darauf versammelten sich nun in einem Atelier Spezial Mitglieder des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und gaben mehr oder minder ausgereifte choreografische Versuche am eigenen Leib zum besten.
Nur Regina Advento kündigte vorsorglich an, dass es sich bei ihrem Stück ? Minuten - Beat um work in progress handele. Was es heißt, "Rhythmus im Blut haben", wisse sie seit einer medizinischen Untersuchung, als sie hören konnte, wie der pulsierende Herzschlag das Blut rauschend durch den Körper pumpt - mal stürmisch wie ein Wasserfall, mal gleichmäßig wie ein ruhig dahinfließender Strom. An einen Besuch von Wasserfällen habe sie das erinnert, wie sie mit großer Eleganz erzählt (vermutlich sind die brasilianischen Iguazú-Fälle gemeint, die Bauschs Brasilien-Stück Agua inspirierten). Medizinische Aktionen wie Blutdruckmessen, Internet-Recherchen und Herz-Projektionen wechseln mit Tanzsequenzen. Und da kam Stimmung auf. Adventos Partner, Breakdancer Lin Verleger von der Streetart-Initiative Pottporus (Herne), gibt so richtig Gas. Als schwebe sein Körper auf lautlosen, unsichtbaren Rollen, als bestehe sein Körper nur aus Sehnen und Muskeln so verbiegt und verdreht er sich. Advento zeichnet brav mit den Armen geometrische Muster in akkurater Metronomtaktung und schlängelt sich zwischendurch unter seinem Armbogen oder die gespreizten Beine durch - auf den Suche nach dem anatomischen Ort von Rhythmus im Blut? Auf das Endprodukt dieses originellsten Beitrags darf man jedenfalls gespannt sein.
Das perfekte Solo für einen Wettbewerb lieferte Aleš ?u?ek mit slowly Bye Phrase" ab. Ob sich hinter dem Artistenakt Clandestine von Nazareth Panadero und Michael Strecker (mit drei! Stühlen) Maurice Béjarts Eheduett Stühle verbirgt, blieb offen.
Für Pina tanzten Aida Vainieri, Ditta Miranda Jasjfi und Daphnis Kokkinos. In ihrem Solo mit musikalischer Begleitung durch einen hünenhaften Bratschisten Something in the Air blieb Jasjfi ganz nah bei ihren Soli in Bausch-Stücken, aber längst nicht so frei. Vainieri brachte in Redrain mit ihrem Partner, dem türkischen Musiker Önder Özkara, türkisches Flair auf die Bühne. Da ballte sich mitunter zu vieles zusammen: knallbunte Naturvideos und -geräusche, Musik, Tanz und Sprache gleichzeitig; im Raum stehen drei bunt kostümierte Schaufensterpuppen und eine zweistöckige Behausung aus Bambusstäben. Rührend die Danzón-Assoziation (projezierte Goldfische mit der winzig wirkenden, Abschied winkenden Pina Bausch davor an der Rampe) mit einem kunterbunten Heer quirliger Gummifischchen.
Mit Videos, wie sie in so vielen der internationalen Bausch-Produktionen Verwendung finden, operiert auch Daphnis Kokkinos in dem Auftakt-Stück Addio Addio Amore - am schönsten ein Ausschnitt, offenbar aus Nordindien, mit einer Rikscha, in der Pina und Kokkinos zu erkennen sind. Zu Beginn tritt er im hellen Anzug zwischen den schwarzen Samtportieren auf - so feierlich wie ein jung Verliebter, der um die Hand seiner Angebeteten anhält, mit einem Strauß Tulpen in der Hand. Fast unbemerkt entledigt er sich am Bühnenrand seiner Kleider für sein erstes Solo in schwarzem "Turn"-Zeug. Technik und Ausstrahlung rauben ein bisschen den Atem. Schnell aber tauscht der Grieche den charismatischen Tänzer gegen den Regisseur aus, fischt sich aus dem Publikum (nicht ganz zufällig gewählte) Mitspieler heraus, herzt hier und da jemanden, verteilt Komplimente und plaudert en passant. Später trippelt er, von einer blauen Georgette-Wolke verhüllt, in Pumps herein (Marlene Dietrich würde ob dieser Beine - abgesehen von dem schwarzen Pelz auf den Waden vielleicht - vor Neid erblassen!) und tanzt innig umschlungen mit seinem schüchternen Partner Pablo Aran Gimeno Tango. Auch eine federleichte Musette und dieser wuchtige Schostakowitsch-Walzer erinnern an Abende von Pina. Irgendwann erklingt Addio Addio Amore. Und dann steht er wieder zwischen schwarzem Samt mit seinen Blumen. Sie lassen die Köpfe hängen.