Die Hüpffrösche von Zollverein
„We don’t care about the theatre anymore…“, singen die fünf Performer. Sie singen einfach drauf los in der Waschkaue des PACT Zollverein, während wir uns noch an den Speisen und Getränken des Caterers laben. „We don’t care about the theatre anymore?“ – Doch.
Nicht das Theater, sondern nur die Räumlichkeiten des Theaters verlassen Martin Nachbar und Kolleg(inn)en, um das Publikum mit auf einen „Walk“ zu nehmen, auf einen Spaziergang durch die Städte, in denen sie gastieren - in diesem Fall rund um die alte Waschkaue der Zeche Zollverein. An diesem Tag ist das eine wunderbare Idee: blauer Himmel, ein paar Schönwetterwolken, ca. 20° C, Baumblüte. Irgendwann während des Laufs liefern sich in der Ferne zwei Prolls ein illegales Autorennen; ansonsten ist die Veranstaltung sehr harmonisch. Nach einem Warm-up mit geschlossenen Augen wandern wir los, treten zunächst noch fast auf der Stelle, werden dann unmerklich schneller und verfallen nach ca. 200 Metern in leichten Trab. Es folgt ein Stopp zum Ausruhen und Umschauen, dann gehen wir rückwärts weiter.
Als es wieder vorwärts geht, erinnern die Schrittfolge und der Bewegungsablauf an etwas, bei dem einem der Begriff „Schnadahüpferln“ einfällt: Zu hüpfenden und stampfenden Schritten dreht sich der Oberkörper mal nach links und mal nach rechts. Die Gruppe bewegt sich nun auseinander, benötigt mehr Platz. Im Gänsemarsch geht es anschließend über eine Eisenschiene; so ähnlich vertrieben wir uns als Kinder die Zeit beim langweiligen Spazierengehen mit unseren Eltern. Kleine imaginäre Hindernisse, Unebenheiten im Boden werden übersprungen: „Was machen die denn da?“, fragen mäßig interessiert einige Paare und Passanten.
Das fragt sich der eine oder andere in der Mitmachgruppe auch: Irgendwann haben die entweder keine Lust oder keinen Mut mehr, denn als Nachbar und seine Freunde in einem kleinen Hinterhof im Kreis herumlaufen, stampfen und hüpfen und wild gestikulieren, gucken plötzlich fast alle nur noch zu. Jeroen Peeters, Mit-Tänzer und Dramaturg der Veranstaltung, wird nun zum Schlangenbeschwörer. Zu den Klängen eines Liedes, das Boris Hauf uns spielt, hypnotisiert Peeters gemeinsam mit Martin Nachbar ein auf den Boden gelegtes Tuch. Das erweist sich nicht nur als rechteckig, sondern auch als lang genug, dass wir alle darunter bzw. an seine Seitenränder passen, nachdem es entfaltet wurde. Wir schließen die Augen und wandern um manche Ecke und Kante zurück ins Foyer/Restaurant des PACT – nun eng zusammengerückt und auf Tuchfühlung nicht nur mit dem Stoff, sondern auch mit dem Rest der Wandergruppe.
„Der Weg ist das Ziel“, sagt Martin Nachbar. Die Performance firmiert unter „Tanz“. Sie ist… ganz vieles. Eine Selbsterfahrung, eine Konzentrationsübung, eine Möglichkeit zur Rückbesinnung auf sich selbst. Ein Spiel mit der eigenen Körperbewegung, ein erster Schritt der Zuschauer zur Einübung von „Performance“. Vor allem aber: Sie ist eine Form von Mitmachtheater, die Spaß machen kann. Im Zentrum der Großstadt wäre sie noch witziger – als Fremdkörper und Störer im Stadtbild. Schade, dass unsere Kinder nicht dabei waren. Sie hätten mal wieder gestaunt, was ihre Eltern für einen Blödsinn machen, wenn sie mal von zu Hause ausbüxen…