In der Hoffnung auf ein besseres Leben
Da haben sich zwei auf idealer, besser: idealistischer Ebene, gefunden: Gustav Mahler und Martin Schläpfer. Der Ballettchef der Deutschen Oper am Rhein zitiert und collagiert ebenso wie der Wiener Komponist der großen Umbruchsära alles, was vorher war und was ihn interessiert, in seiner jüngsten Choreographie b.17: Mahler nimmt in seinem e-Moll-Opus Anleihen beim zackigen oder verfremdeten Marsch, beim idyllischen Volkslied, beim schwärmerischen Berlioz, bei der (von Eichendorff so wunderbar beschriebenen) romantischen Nacht, bei der theatralischen Groteske, bei der visionären Jubelpracht zumal im Finalsatz (Anlehnung an Richard Wagner?); Schläpfer wiederum vereint fast mühelos klassischen Pas de deux mit Tanztheater á la Pina Bausch, barocken Tanzgestus mit wirbliger Pop-Dynamik. Und so ergänzen und durchdringen beide Musik und Ballett als Utopie „auf eine bessre Welt“, wie Mahler vor der Uraufführung seiner 7. Sinfonie in Prag (1908) hoffend formulierte.
In einem archaischen, architektonisch „neutralen“ Lichtraum mit hellen und dunklen Schneisen (Florian Etti, Volker Weinhart) vollzieht sich in der Düsseldorfer Oper ein Tanzspektakel, das ebenso uneinheitlich wie einheitlich wirkt – ein Widerspruch in sich? Nein, denn Schläpfer überzieht die Brüche, Risse, Kontraste, Wunden und Schrunden seiner Welten- und Menschensichten mit einer skeptischen Wehmut des Melancholikers – und trifft bei der Komposition der Mahler-Sinfonie (die „Siebte“ gehört zu seinen am wenigsten gespielten Orchesterwerken!) auf einen ähnlich gesinnten Philosophen, Zweifler und Gestalter. Wie gesagt: Das Duo ist sich ideell auf einem Level begegnet. Das ringt Bewunderung ab, weil sich der Choreograph auf alle Windungen und Wendungen der Musik, auf alle dynamischen Details, auf alle rhythmischen Momente dieser Musik so intim wie subtil einlässt. Und doch in diesem „Spiegel“ nicht innehält.
Zarte Zweier- und Dreier-Kombinationen, robuste Stiefel-Passagen, rückwärts gewandte Schrittkombinationen, dunkel entrückte Sehnsucht, gepeitschte Emotionen, verzweifeltes Anspringen von Mann/Frau, Fallen und Stürzen als tragischer Impetus, symmetrisch ausgehörte Raumgreifungen, lebhaftes Befragen von Körper und Inspiration, meditative Stillleben, wuchtige Sprünge und Befreiung von sozialen Fesseln – Schläpfers Mahler-Adaptation bewegt sich ständig zwischen Verzerrung und Apotheose, zwischen Entschleunigung und Dramatik. Eine kongeniale Deutung des DOR-Ballettdirektors von Mahlers monumentalem, nachtbetontem „Schattenreich“.
Durchweg sah man hervorragende Solisten- und Ensembleleistungen, ohne dass Schläpfer einzelne Mitglieder seiner bestens geschulten Compagnie bevorzugt in das Rampenlicht beordert. Der Star ist an diesem gefeierten Abend das Kollektiv.
Axel Kober und die Düsseldorfer Symphoniker halten die typische Mahler-Balance ein: hier Kuhglocken-Ferne („im Angesicht der Ewigkeit ein letzter Gruß irdischer Wesen“), dort beunruhigende Nähe, hier depressiver Zweifel, dort triumphaler Glanz. Das Orchester kann beweisen, dass es Mahler im Großen wie im Detail „versteht“ – wenn ein Dirigent wie Kober hinter die sinfonische Oberfläche vordringt und die innovative Musik als (Ver-)Führer für eine Reise in die Seelenlandschaft des schwierigen, fragenden Individuums begreift. Mahler denkt auch in diesem „Nachtstück“ vor… Ausgezeichnet: die Hornisten-Schar der Symphoniker.
Viel Zustimmung im ausverkauften Opernhaus.