All you need is dance...
In diesem Jubelpaket ist wirklich drin, was drauf steht: Dance Celebration nennt Ricardo Fernando die Retrospektive zum zehnjährigen Jubiläum seiner Hagener Ballettdirektion. Der Brasilianer bietet mit den sechzehn wunderbar unterschiedlichen Tänzern eine beeindruckend vielseitige, unterhaltsame, minutiös konzipierte und einstudierte Abfolge von Ausschnitten aus einem Dutzend seiner Ballette. Das Premierenpublikum bejubelte eine fast dreistündige Ballettgala der besonderen Art!
1988 kam der drahtige Tänzer-Choreograf nach Europa, tanzte u.a. in Wien und Zürich, wurde 1993 Ballettchef in Bremerhaven, danach in Regensburg und ab 2003 in Hagen. Zielstrebig, uneitel, humorvoll und mit besten Kontakten zu Kollegen in aller Welt baut er das Repertoire auf. Mit seiner Tanzbegeisterung steckt er nicht nur seine Truppe an, sondern auch das Publikum in der Arbeiterstadt am Rande des Reviers. Seit einigen Jahren unterstützen die rührigen Ballettfreunde das balletthagen, das sein Profil auch durch regelmäßige Einladungen von Choreografen mit unterschiedlichsten Handschriften schärft.
All you need is dance hieß einer der mehrteiligen Ballettabende. Bei aller Tanzbegeisterung unterschlägt Fernando die Macht der Musik, die ihm nicht selten als Inspiration dient und den Drive vorgibt. So umspannen Kostproben aus diesem Programm musikalische Meisterwerke von Händel bis zu den Beatles, kulminierend in der technisch raffinierten, aber eher sportiven denn sinnlichen Choreografie auf den Boléro. Wenn Fernando nicht gerade klassisch oder neoklassisch tanzen lässt, wie etwa im Feuervogel oder in Giselle, begibt er sich gern ins Aerobic- oder Jazzdance-Studio - egal ob bei Dance in Motion mit dem köstlich motorischen Train to Heaven, der als Video einer Dampflok über den Rückprospekt schnauft, oder zur Variation Nr. 30 von Bachs "Goldberg-Variationen" aus Bach tanzt.
Ricardo Fernando zeigt sich im Interview mit Dramaturgin Maria Hilchenbach im Jubiläums-Programmheft (leider ohne Foto und Vita der durchweg großartigen Tänzer) selbst erstaunt, dass er so lange am selben Platz so erfolgreich arbeiten konnte. Das ist in der Tat keine Selbstverständlichkeit in diesen Zeiten, in einer derart finanzschwachen Stadt jenseits bildungsbürgerlicher Metropolen wie etwa dem kaum größeren, 80 km nördlich gelegenen Münster, wo der neue Tanztheatermacher Hans Henning Paar einem Austausch, wie ihn einst Birgitta Trommler mit Richard Wherlock so erfolgreich pflegte, nicht abgeneigt zu sein scheint - und noch dazu inmitten dieser Tanz-dichtesten deutschen Region und stilistischen Vielfalt zwischen Wuppertal, Düsseldorf/Duisburg, Bielefeld, Essen, Gelsenkirchen und Dortmund. Fernando, der den Tanz überhaupt erst im Alter von 21 Jahren entdeckte, ist ein geborener Tänzer. Er beherrscht und beherzigt die delikate Balance zwischen hohem künstlerischen Anspruch und Publikumswunsch wie ganz wenige Tanzchefs auf deutschen Bühnen.