Cinderella im Essen, Aalto-Theater

Cinderella wird erwachsen

Das wirklich Besondere an Stijn Celis' Cinderella mit dem Aalto-Ballett ist die Symbiose von Körpersprache und Prokofjews Musik. Kaum je wird der theatralische Esprit der plastisch grotesken Komposition von 1945 so deutlich - zumal die Bochumer Symphoniker unter der Leitung von Yannis Pouspourikas jede Nuance von lyrischer Romantik bis zur lärmenden Groteske mit größer Spielfreude zur Geltung bringen.

Diese Cinderella beginnt ganz ähnlich wie Bridget Breiners Aschenputtel-Ballett Ruß nebenan beim Gelsenkirchener Ballett im Revier: zum Vorspiel sieht man das Bild einer glücklichen Familie - Vater, Mutter, Kind. Dann geht die Mutter weg. Zurück bleiben der trauernde Vater und das traurige Kind. Die Erinnerung an die verstorbene Mutter schweißt die beiden liebevoll zusammen. Als der Vater wieder heiratet, wird das Kind unsanft in die Außenseiterrolle geschubst, gedemütigt und misshandelt von der Stiefmutter und deren Töchtern.

Mit unterschiedlicher Gewichtung zeichnen beide Choreografen ein Psychogramm von Menschen in einer modernen Gesellschaft als Patchworkfamilie. Die Welt ist aus den Fugen. Celis deutet das eindrucksvoll mit windschiefen, teilweise im Boden verschwundenen Möbeln an. Das einsame Kind reift zur schönen, jungen Frau heran - bereit für die Liebe zu einem selbstbewussten Mann.

Der Belgier hebt das Märchen auf die Ebene erwachsener Zuschauer. Das funktioniert auch durch die Einfügung von zwei sexy Schlagern aus den 1960er Jahren, wenn die Schönen und Reichen sich im Schloss verlustieren (köstlich das Corps de ballet!). Das kurze Zwischenspiel aus Prokofjews Oper Die Liebe zu den drei Orangen dagegen nimmt Bezug auf die allenthalben herumgereichte (und schließlich vom Vater, Denis Untila, genüsslich verspeiste) Orange als Symbol der Erinnerung.

Yulia Tsoi hat sich längst in die erste Reihe der Essener Ballerinen getanzt. Darstellerisch überzeugt sie in der Titelpartie vor allem als junge Frau in einem spektakulären roten Ballkleid (Kostüme: Catherine Voeffray). Breno Bittencourt, ihr betörend schöner Herzensprinz, springt mit den elegantesten Grands Jetés unter seine Partygäste. Prompt liegen alle Damen ihm zu Füßen. Bis auf die eine.... Wenn er sich später auf die Suche nach dieser Traumfrau macht, tragen alle ihre "Doubles" rot - am auffälligsten Stiefmutter und die beiden Töchter im Varieté-reifen Glitzerfummel. Überhaupt ist dieses Trio eine "Nummer" besonderer Art. Damit ihre Grobheit besonders grotesk und lächerlich wirkt, hat Celis sie mit Männern besetzt: Artur Babajanyan als Mutter, Liam Blair und Wataru Shimizu als Stiefschwestern - einfach grandios. Dieser Abend bietet ein köstliches Balletterlebnis!