Das Gewicht der Schwämme im Bielefeld, Stadttheater

Wasserballett zwischen Chaos und Ordnung

Eine ganz normale Familie setzt sich in Szene: streitend, liebend, aneinander vorbei lebend. Der Vater tanzt Straßen-Samba - und wie! (der Kolumbianer Wilson Mosquera Suarez). Die Mutter (mal zickig, mal sexy: Anna Eriksson) ist bemüht, sich auf die Niederschrift ihres „Projekts" zu konzentrieren. Die Teenie-Tochter (halbzart: Ursina Hemmi) übt den Aufstand und provoziert auf der Suche nach Geborgenheit. Dann wieder sonnt man sich in einträchtiger Harmonie im Bikini. Es wird gekeift, gekuschelt, gestreichelt. Zur Not hält eine omnipräsente Puppe (Claudia Braubach) als geduldig zuhörender Gesprächspartner, beste Freundin oder Traumfrau her.

Der spießige Vater-Mutter-Kind-Alltag wird von allerlei Fantasten aufgemischt. Sie repräsentieren Erinnerungssplitter, Träume und Alpträume. Surreale Effekte entstehen, wenn sie taumeln und ausrutschen, die Balance verlieren, aus dem Rhythmus kommen. Gespenstisch wird's, wenn eine Elfe in Pink (Luisa Schöfer) mit steifen Beinen auf allen Vieren durch den Raum stakst oder Pianokaskaden mit den Fingern in der Luft simuliert, während aus dem Lautsprecher eine Scarlatti-Sonate perlt und der Lover (Gianni Cuccaro) als einziger Zuhörer ungerührt eine nach der anderen pafft. Paare tanzen den berühmten Schostakowitsch-Walzer aus der 2. Jazz-Suite - mal traditionell umschlungen, mal Rücken an Rücken oder „sie" in „seinen“ Armen kopfüber und stocksteif. Dirk Kazmierczak taumelt Blut verschmiert nach einem Autounfall umher. Hsuan Cheng posiert als prachtvolle Samba-Queen zu Mosquera Suarez' Gummipuppentänzen. So schön war Samba nie - so verdreht Walzer auch nicht.

Nur einer lässt sich in dieser hyperaktiven Show aus Chaos und Ordnung nicht irritieren: Simon Wiersma als athletischer Schwimmer zieht vorn an der Rampe in metronomisch exaktem Rhythmus mit größter Energie und Eleganz auf einem Wasserfilm seine Bahnen. Im Finale finden die Traumtänzer zum perfekten Team zusammen. Ein Wolkenbruch überflutet die Bühne. Alle stürzen sich ins Nass und kraulen, als gelte es, olympisches Gold zu ergattern.

Vor vier Jahren hat der Brasilianer aus Genf schon mit seiner „Reise ins Verborgene" und den Bielefelder Tänzern für beste Unterhaltung gesorgt. Auch diesmal war das ostwestfälische Premierenpublikum ganz aus dem Häuschen.