Sieben Seelen-Spiegel
Sieben kurze Stücke - sieben Temperamente, sieben Stile, sieben Etüden über die Möglichkeiten des Tanzes, siebenmal Nachdenken über Träume und Sehnsüchte, menschliche Bedingungen und Kurioses oder Groteskes rund um die nonverbane Kommunikation zwischen Raum und Körper, Geist und Sinnlichkeit. Ptah nennt sich die von Ben von Cauwenbergh 2009 gestartete Reihe, in denen Essens Ballett-Intendant dem tänzerischen Nachwuchs aus seinem Ensemble die Chance gibt, neue Wege zu gehen, sich als Choreograph „auszuprobieren“, Ideen im Teamgeist zu verwirklichen, Tanzsonaten mit sich und mit Kollegen/Kolleginnen auf ihre Tauglichkeit im Repertoire zu überprüfen. 13 Ensemblemitglieder stellten sich dieser Aufgabe – und Ptah, der ägyptische Gott der Schöpfung, war Titelgeber, Zeuge und Pate dieser choreographischen Skizzen. Der Abend im Grillo-Theater, in dem das benachbarte Aalto-Ballett wieder einmal dankbar zu Gast war, war ein großer Erfolg. Es gab minutenlangen Beifall für alle Akteure – für die Choreographen wie für die Ausführenden (teilweise waren diese identisch).
Der Vorteil des Ortes: die Intimität, die Direktheit, weil der „Graben“ fehlt, weil das Publikum die Nähe der Kreativität spürt, sowie das spezifische Klima dieser multimedialen Szene. Auf Fassaden, auf gebaute Bühnenbilder, meist sogar auf Requisiten oder Möblierung wird verzichtet. Das Licht „malt“ Räume, öffnet Sehschneisen, gibt eine Atmosphäre des Unwirklichen und des Nächtlichen vor. Das hat seinen besonderen Reiz.
Igor Volkowskyys „Garb“: drei Drehstühle, zwei Klebebänder genügen, um ein ebenso lustbetontes wie pointiertes Absurd-Stück zu inszenieren; One Morning vom Ehepaar Anna Khamzina und Dmitry Khamzin: eine spielerische, zärtliche, kokette und berührende Begegnung zweier Menschen, die ihre Vertrautheit tänzerisch abrufen; My Body is a Cage von Davit Jeyranyan: zwei Tänzer „sprechen“ über ihre Körperlichkeit, über die Enge und die Grenzen männlicher Gedanken und Konditionen; Passacaglia von Michelle Yamamoto und Denis Untila als komisch-inspierierendes Männer-Duell über die Symbolik des weißen Hemdes (mit zu langen Ärmeln) und wie diese Kleidungsstücke als „Haut“ abgelegt werden; Jo, ebenfalls von dem eben genannten Choreographen-Duo (Yamamoto/Untila): ein Pas de deux über Witz, Pointe, Konzentration und die Visionen des „homo ludens“, bei dem die Virtuosität des Paares abgefragt wird; Im Rausch der Sinne von Julia Schalitz: ein Solo über die Freiheit und die Utopie des Tanzes als Seelenspiegel; Embodiment von Armen Hakobyan, ein größeres und längeres Finale mit Hell-Dunkel-Lichteffekten und Emotionsaffekten, großartig, leidenschaftlich und intensiv von einem siebenköpfigen Ensemble im Scheinwerfer-Gewitter gestaltet. Ein Grenzgängertum – denn der Tod spielt beim Öffnen von weltlichen und unirdischen „Fenstern“ mit. Das Diesseits und das Jenseits verschmelzen zu einer traumatischen Synthese.
Alle Talente dieser Werkstatt, die jedoch bereits weit über das Prinzip der einfachen, schlichten, halbgaren Studien hinaus weist, sollten die Chance zu weiteren choreographischen Einheiten bekommen. Um zu erfahren, ob sie sich später ganz in den Dienst der schöpferischen Gottheit Ptah stellen wollen und können. Aber auch, um sich, ihren Körper und ihre Kommunikatikonsfähigkeit in der Gruppe zu testen und darin einen philosophierenden Sinn zu erkennen. Bei manchen Stücken hätte man sich eine konkrete Erweiterung oder eine ausführlichere Auseinandersetzung gewünscht. Intendant Ben von Cauwenbergh kann insgesamt aber durchaus stolz auf seinen hauseigenen „Nachwuchs“ sein. Da wächst eine junge, frische, neugierige, fantasievoll operierende und durchaus schon selbstbewusste Choreographengeneration (in Essen) heran. Ptah dürfte dem Ganzen wohl gesonnen sein…