Übrigens …

Verklärte Nacht im Bochum, Jahrhunderthalle

Wenn der Mond nicht scheint

Gnadenlos senkte sich gegen 21 Uhr, am Ende dieses wettermäßig eher tristen Sommertages eine finstere Nacht über das einstige Bochumer Industriegelände. Natürlich hatten wir (sicher nicht allein) gehofft, der Mond werde schemenhaft durch die hohen milchigen Glaspartien im Backsteingemäuer der Jahrhunderthalle schimmern - "schamlos romantisch" wie auch Anne Teresa De Keersmaeker zu sein von sich behauptet, aber auch in Erinnerung an die harsche und dennoch sehr berührende erste Fassung von Verklärte Nacht auf Arnold Schönbergs bis heute populärste Komposition, sein noch weitgehend spätromantisches Sextett, 1995 in Brüssels Théâtre de la Monnaie im Rahmen eines dreiteiligen Schönberg-Abends. Da schien (wenn die Erinnerung nicht täuscht) gemäß der Textvorlage zu dieser Musik, das gleichnamige Liebesgedicht des Österreichers Richard Dehmel, ein runder Mond durch die nachtschwarzen Baumwipfel, unter denen sechs Paare - die typisch gewandeten "Rosas" von damals: schwarze Klamotten, schwarze Arbeitsstiefel - menschliches Miteinander ausprobierten und zärtlich-sehnsuchtsvoll demonstrierten.

Schönbergs eigene Bearbeitung für Streichorchester erklang in Brüssel - durchaus sinnvoll ausgewählt zu der Ensemble-Besetzung auf der Bühne und das Gesamtkonzept dieses Musiktheaterabends - live unter Antonio Pappano. Jetzt hört man eine Einspielung mit der New York Philharmonic unter Pierre Boulez. Das macht Sinn für die Raumsituation, weniger allerdings für die Intimität dieses "Pas de deux" (!) für zwei Männer und eine Frau - zumal in Erinnerung an De Keersmaekers frühe Choreografien mit Kammermusikern als mit agierende künstlerische Partner der Tänzer. De Keersmaeker meint allerdings, dass sie Dehmel jetzt besser gerecht werde als damals, indem sie die Geschichte dieser drei Menschen erzählt, also ein veritables kleines Handlungsballett kreiert. Allerdings wirken die sehr sportiven Bewegungen, Hebungen und Sprünge doch eher abstrakt, die Mimik der Tänzer (Samantha van Wissen, Nordine Benchorf, Boštjan Anto?i?) verrät nichts von den emotionalen Turbulenzen. Auch verwundert der Schluss: Mit großen Schritten verlässt die Frau das Spielfeld. Der Mann bleibt zurück. Der grelle Scheinwerfer - montiert wie für die Überwachung eines Gefängnishofs hoch oben unter dem Gebälk der riesigen Halle - erlischt. Die Halle wird nachtschwarz. Der Zuschauer ist verwirrt: endet Richard Dehmels Liebesgedicht nicht in größter Harmonie und Zuversicht für die gemeinsame Zukunft der beiden mit dem Kind des anderen Mannes?

Ein bisschen wenig ist das doch überhaupt für eine Anreise von bis zu 100 Kilometern, wie die Kennzeichen der parkenden Autos verrieten - es sei denn, man gehörte zu den Festival-Hoppern, die schon vorher in Essen oder Duisburg andere Ruhrtriennale-Beiträge verkostet hatten. Allen anderen Besuchern blieb allenfalls das viel später beginnende Nachtkonzert des Ensemble Modern, das fast bis zum Morgengrauen dauerte. Man hätte sich wirklich ein zweites Stück von De Keersmaeker gewünscht vor oder nach dieser kurzen Uraufführung. Oder, "groß" geträumt: wie schön wäre eine Neueinstudierung des unvergesslichen Brüsseler Schönberg-Dreiteilers gewesen, den De Keersmaekers erste Choreografie von Verklärte Nacht"beschloss nach dem Monodram Erwartung (mit Anja Silja) und der von der zierlichen Rosas-Tänzerin Marion Levy pantomimisch kommentierten "Begleitmusik zu einer Lichtspielszene". So aber will es nicht gelingen, von einem rundum beglückenden Theaterabend zu sprechen.