Mehr als Marionetten
Um die „reine Lust am Fabulieren“ ging es Oskar Schlemmer nach eigener Aussage in seinem legendären Triadischen Ballett, um „ein Fest in Form und Farbe“. 1912 begann der tanzbegeisterte Stuttgarter Maler und Bildhauer sein „Experiment“ einer Symbiose von Skulptur und Tanz, aus dem ein neues deutsches Ballett entstehen sollte. 18 Figurinen entwarf er und stellte sie gemeinsam mit Ehefrau Tut vorwiegend aus Textilien, Holz und Metall her. Da wurde genäht und geschnitzt, gehämmert, genagelt und geschweißt. Schlemmer selbst und dem Tänzer-Paar des Stuttgarter Hofballetts flogen bei der Premiere die harten Kostümteile um die Ohren. „Das Publikum zeigte sich nachsichtig“, berichtete der Meister.
In der Folgezeit arbeitete er als Leiter der Bauhausbühne in Weimar weiter an seiner Vision eines mechanischen Balletts. Strikt verbat er sich - und nach seinem Tod die Erbengemeinschaft - die Wiederaufführung seiner (unvollendeten, experimentellen) Bühnenwerke. Ein englischer Film und Gerhard Bohners sehr eigenständige Fassung der historischen Kuriosität entstanden immerhin. 2014 endeten die Rechte der Erben. Das Bayerische Staatsballett rekonstruierte umgehend Bohners Werk von 1978, und nun feierte in Düsseldorf mit Trias eine Neuinterpretation von Schlemmers Werk Premiere.
Am Ende der 80-minütigen Inszenierung von Jörg U. Lensing in Jacqueline Fischers Choreografie ist die Tanzwelt wieder im Lot. Vor dem Finale des Kammerballetts streifen die drei Tänzer ihre Kleider im Farbdreiklang von rot, blau und gelb mit Reifen im Saum ab und zelebrieren eine raffinierte, körperumschlingende Akrobatik-Nummer. So geht Tanz heute! Zuvor entspann sich ein elf-teilige Szenen-Folge in Anlehnung an Schlemmers Vorbild. Die starr geometrischen, expressionistisch abstrakten Formen der Kostüme von damals in reinen Farben auf Holz und Metall mildert das Düsseldorfer Ensemble durch geschmeidigere Materialien und weiche Polsterungen ab. Dass der menschliche Körper sich nicht in ein völlig starres Korsett zwängen lässt, ist die liebenswerte Antwort der kleinen Truppe um Gründer Jörg U. Lensing. Das Premierenpublikum spendete lang anhaltenden Applaus.
Leise, mit eleganter Armgestik und leichtem Trippeln auf der Stelle beginnt Phaedra Pisimisi im Rundrock. Klar wie eine Bachsche Invention klingt dazu die Begleitung des Komponisten-Pianisten Thomas Wansing auf dem Klavier. Wie ein Crescendo steigern sich Musik und Bewegung. Grandios die feurige Spirale 2 von Elisa Marschall! Edel die Scheibentänzer im Profil (Pisimisi, Darwin Diaz). Die Musik, nun ergänzt von Cello (Beate Wolff) und Schlagzeug (Oliver Eltinger), laviert zwischen sehr moderater Moderne und fetzigen, motorischen Jazz-Passagen. Die Tänzer kokettieren und triumphieren, gelegentlich erfrischend spitzbübisch, über ihre steifen Körper-Requisiten, behindernden Beinkleider und Polsterungen. So hüpft Diaz, aufgeplustert wie ein weißer Schlumpf, als Weißer Tänzer in die Arme seiner zierlichen Ballerina (Marschall). Mit ihrem Ziehharmonika-Tellertutu und in Spitzenschuhen trägt sie ihn von der Bühne als wär' er nur ein Hauch aus Ballonseide.
Vor allem Diaz kehrt immer wieder mal den Witzbold und Kobold heraus (als Zylindermann, Harlekin und Weißer Tänzer). Auch Marschall gibt sich als Glockenpuppe und Weiße Tänzerin verschmitzt, während Pisimisi als statuarischer Rundrock und geheimnisvoll glitzernde Drahtleuchtfigur (eine veritable „Königin der Nacht“!) damenhafte Aura ausstrahlt. Einen etwas biederen Rückblick auf die Geschichte des Werks bietet Conferencier Kai Bettermann. Als Pausenclown malträtiert er sein Cello mit einem Degen und wird, behängt mit allerlei Instrumentarium, zum lebendigen Glockenspiel.
Design und Herstellung der 18 ungewöhnlichen Outfits für Taucher, Goldkugeln, Beckentürke, Stäbetürke, Kugelhände und wie sie alle heißen stammen von Caterina Di Fiore und wurden von ihr hergestellt mit Unterstützung von Studierenden der FH Dortmund, Fachbereich Design. Ob Schlemmers Ballett - nun befreit von allen rechtlichen Restriktionen - eine Zukunft hat, wird sich zeigen. Einen Platz in der Tanzgeschichte haben seine Ideen schon lange.