Übrigens …

You, The Other im TanzFaktur Köln

Eine Begegnung

„Was passiert, wenn zwei Menschen einander begegnen?“ fragt der Düsseldorfer Choreograf Felix Bürkle in seiner im November im Theater im Pumpenhaus Münster uraufgeführten Performance You, the other. Damals tanzte noch der Tänzer und Choreograf Vicent Gisbert Soler an der Seite von Lihito Kamiya; im Rahmen von tanz nrw 15, wo die Choreografie in der TanzFaktur Köln und in der Fabrik Heeder in Krefeld gezeigt wird, steht der groß gewachsene Felix Bürkle selbst an der Seite des zierlichen, androgyn wirkenden gebürtigen Japaners Kamiya. Obwohl: Seit an Seite agieren die beiden zunächst nicht. Kayima steht auf der rechteckigen Tanzfläche vorne rechts, Bürkle recht weit hinten links. Stille herrscht. Langsam, wie in Zeitlupe verrenkt Bürkle seinen Körper, schaut nach oben. Aber: Schaut er wirklich? Oder hat er nicht die Augen geschlossen? Wie sein Partner, der für ihn derzeit noch ein Fremder ist - wie Lihito Kayima. Anschwellende Musik begleitet die langsamen Bewegungen, dann wieder nur leichtes Rauschen. Noch ist nichts passiert, aber schon erreicht die Performance der beiden Künstler ungeheure atmosphärische Dichte.

In abgezirkelten Bewegungen, ganz langsam und mit vielen Umwegen bewegen sich die beiden Performer aufeinander zu. Ohne einander jemals anzusehen. Kayima imitiert die Bewegungen eines Spitzentänzers, Bürkle nimmt die Haltung von Tieren ein, eines Affen, eines Käfers. Beginnen die beiden Figuren, die, wie wir in der Ankündigung gelesen haben, einander treffen sollen, sich nun zu umkreisen? Nein, sie verfehlen einander weiterhin. Bewusst oder unbewusst? Vielleicht haben sie einander noch nicht entdeckt, aber auch Angst vor der Begegnung scheint eine Rolle zu spielen. Doch dann wird es langsam, ganz langsam heller im Raum, und Kayima stolpert über den am Boden liegenden Bürkle. Die Musik, die aus allen vier Ecken des Raumes schallt, bekommt nun etwas Bedrohliches. Das Rauschen wird lauter, Explosionen ereignen sich. Sind es die psychischen Irritationen, die inneren Ängste zweier aufeinander zu rasender Subjekte? Die Endorphine, die der Körper ausstößt im Moment der Erregung beim Aufeinandertreffen zweier liebender oder feindlicher Menschen?

Immer noch hält sich Kayima die Augen zu. Dann geht er in Fechterschritten auf den anderen zu. Die Körper zittern, es wird weiter heller im Raum, die Bewegungen werden schneller und temperamentvoller. Noch immer gibt es keinen Blickkontakt. Doch dann die erste Kontaktaufnahme durch Kayima; fast unmerklich stößt Bürkle ihn zurück. Allzu stark scheint er mit sich selbst beschäftigt zu sein; er klopft sich gegen die Unterarme, zieht sich an den Zehen. Und dann geht plötzlich alles ganz schnell: Zuerst haben die Füße Kontakt, dann fliegen die Hände ins Gesicht. Kampfszenen entstehen. Bilder von Anziehung und Abstoßung; Bürkles Füße landen im Gesicht des Asiaten, was große kulturelle Verwerfungen nach sich ziehen könnte. Lihito Kayima, der immer verzweifelt ins Wetter guckt, steigt auf den liegenden Körper von Bürkle, doch der ist der Stärkere von den beiden, steht auf als wäre der andere keine Last. Der große Deutsche wirft den kleinen Japaner ab, schlingt ihn sich um den Hals, und beide werden zu einer klassischen Skulptur, Liebespaar und Kämpfer gleichermaßen.

Große Intensität hat diese Aufführung, die um ein scheinbar so kleines Thema kreist. Die suggestive Musik, der wieder und wieder ins Bedrohliche kippende Sound hat dabei den nicht geringsten Anteil. Wir glauben, die Geräusche eines anhaltenden Zuges zu vernehmen, das Kreischen eines Schneidbrenners. Die beiden Performer verbeißen, verknäueln sich ineinander; es ist eine Art „Nicht mit dir und nicht ohne dich“, was wir nun sehen, ein „Sie küssten und sie schlugen ihn“. Es wird wieder ein Kampf. Zurück bleibt, am Ende dieses knapp einstündigen Spektakels um ein zufälliges Treffen und einen vielleicht lebenslangen Kampf, ein hyperaktiver, sich verzweifelt verausgabender, alt gewordener Felix Bürkle mit zitternder Hand. Und ein wieder zur Seite abgedrängter Lihito Kayima. Langsam, fast scheu versuchen die beiden sich einander wieder anzunähern, doch am Ende bleiben sie allein. Eine Begegnung zweier Menschen - und die Essenz eines ganzen Lebens.