Übrigens …

b.24 im Theater Duisburg

Auf Hochgeschwindigkeitskurs

Marco Goecke, einer der „shooting stars“ der deutschen Ballett-Landschaft, wirbelt körperbetont mit den Akteuren über die Bühne. Sein Hochgeschwindigkeitsballett Lonesome George hält an diesem Tanzprinzip fest – und wie! Man kann schon beim Hinsehen und Miterleben kaum Atem holen, so rasant, vital und feurig jagt er das Corps über die Bühne im Theater Duisburg. Der in Stuttgart und Amsterdam seit rund zehn Jahren tätige Choreograph kennt auch keine „Gnade“ mit Martin Schläpfers DOR-Compagnie. Zur Musik von Dmitri Schostakowitsch (Kammersinfonie op. 110, 1960) schickt Goecke mit fiebrig-nervöser, ja oft flattriger  Grundhaltung die ausgezeichnet durchtrainierten und gymnastisch geschulten Tänzerinnen und Tänzer über die Lichtschneisen-Bühne von Udo Haberland/Michaela Springer. Bewegung bis in die kleinste Gestik hinein ist unerbittlich der Motor des anspruchsvollen Stückes über die Einsamkeit und Isolation. Die Streicher-Partitur von Schostakowitsch deckt das „exotische“, radikale Repertoire der dämonischen Goecke-Einfälle bemerkenswert einfühlsam ab – als wenn Choreograph und Komponist eng miteinander und gemeinsam an dieser Deutung gearbeitet hätten.

In dem Eröffnungsstück Illusion von Young Soon Hue (Doppelkonzert für Violine, Cello und Orchester von Philipp Glass) wartet gegenüber der Avantgarde von Goecke mit eher romantischen Perspektiven über das ewige Verhältnis von Wirklichkeit und Traum, über die Rückbesinnung von Lebenswegen auf. Die Koreanerin, früher an der DOR als Tänzerin engagiert, lässt Tag und Nacht in einem Sehnsuchtshorizont der Illusionen verschwimmen. Ein wenig Nostalgie schwingt in ihrer Uraufführung tänzerisch mit.

Wichtiger im Dreierpack dieses Abends war allerdings Amanda Millers Voices borrowed (Musik von Arnold Schönberg nach G. F. Händels Concerto grosso op. 6 Nr. 7). Die international gefragte US-Choreographin kennt Schläpfers Team von früherer Zusammenarbeit. So ist auch in diesem „Stimmen“-Gewirr das sensible und differenzierte Miteinander zu spüren. Der gesamte Raum wird bei ihr zum „Mobile“ aus Tanz, Musik, bewegten Bildern, Objektzitaten, Historie und schwebender, fein gestrickter Poesie. Das Corps spielt dabei zugleich theatralisch Geschichte und Gegenwart, die subjektiven und individuellen „Stimmen“ verschmelzen zu einer Multimedia-Intimität von herausragender Qualität. Sicher schreitet Amanda Miller über den Grat von Menschheitsgeschichte und Zukunftshoffnung für unsere Welt – die Anspruchselle liegt bei ihr in jedem Moment hoch. Die Rheinopern-Compagnie folgt ihr gewissenhaft und mit höchster Konzentration im packenden musikalischen „Drive“. Der Brückenschlag zwischen Moderne (Schönberg) und Barock (Händel) wird tänzerisch sinnvoll und ästhetisch ausgestaltet. So, als ob die Choreographin die beiden Komponisten bei der Produktion inspirierend dabei gehabt hätte…

Drei Projekte, drei Positionen des heutigen Tanztheaters im heftigen Kontrast: Martin Schläpfer ist bei b.24 (wie er seine Ballettprojekte spartanisch von Beginn an betitelt) zwar persönlich nicht beteiligt, aber die Damen und Herren der DOR bezeugen die imponierende Tages- und Probenarbeit, die Schläpfer ihnen wirklich von Tag zu Tag sinnlich und psychisch als Ballett-Visitenkarte abverlangt. Künstlerisch und als Botschafter des Institutes.

Das Publikum im fast ausverkauften Duisburger Haus umjubelte alle drei Uraufführungen. Die Hauptsympathie dürfte zumindest jedoch bei der Premiere Amanda Millers inneren und äußeren „Voices“ gegolten haben.

Die Duisburger Philharmoniker stellten sich problemlos auf die drei unterschiedlichen Musikwerke ein. Wen-Pin Chien führte sie an allen kompositorischen Problemklippen vorbei.