Übrigens …

b.25 im Duesseldorf Oper

Ein Fest!

Wenn Weltklassetänzer und Meisterchoreografen aufeinandertreffen, darf man Besonderes erwarten, womöglich ein Sternstündchen. So erlebt Samstagabend im Opernhaus Düsseldorf bei der Premiere von b. 25 des Ballett am Rhein. Es wäre ungerecht und viel zu simpel, diesem 25. Ballettabend von Martin Schläpfer in Düsseldorf/Duisburg den banalen Stempel „gut, besser, am besten“ aufzudrücken. Der enorm produktive Ballettdirektor, diesmal seltenerweise nicht als Choreograf vertreten, bietet viel mehr als die richtige Reihenfolge einer hochkarätigen Serie von drei Beispielen zeitgemäßer Ballettkunst. Mit seltener Kompetenz und Konsequenz hat der Schweizer aus internationalen Solisten eine moderne Kompanie von Weltrang geformt. Die Premiere von b.25 war ein Fest. Je länger sie dauerte, desto mehr geriet das Publikum aus dem Häuschen vor staunendem Entzücken über die himmelstürmende Kunstfertigkeit der Tänzer bei der Interpretation von drei Balletten grandioser Choreografen der Neoklassik.

Wie entfesselt tanzen zum Auftakt 16 Ensemblemitglieder William Forsythes Workwithinwork von 1998 als gälte es, Posen zu kreieren, „die würdig sind, gemalt zu werden“, wie der französische Tänzer und Choreograf Charles Blasis Anfang des 19. Jahrhunderts den Gipfel aller Tanzkunst beschrieb.

Demgemäß hält Forsythe die Bewegung der Solisten, Paare und Gruppen (in Stephen Galloways bunten Tops, kurzen Höschen für die Damen und Leggings für die Herren) immer wieder an, als drücke er die „Pause“-Taste einer Video-Fernbedienung. Fragend, bestimmt, herausfordernd oder kokett erstarren die Körper. Die Bewegungsmuster zwischen den kurzen Tableaux schäumen über von Einfallsreichtum, technischer Finesse, Tempo und lyrischem Ausdruck - je nach Vorgabe durch die zumeist sehr motorisch harsche (eingespielte) Klangkulisse aus Luciano Berios Duetti per due Violini. Hohe Konzentration bei der Erprobung perfekter Posen ist spürbar. Wie ein wirbelnder Kobold mischt sich immer wieder Boris Randzio dazwischen. Als Herzstück bleibt das lyrische Duett von Elisabeta Stanculescu und Marcos Menha zu einer elegischen Melodie in Erinnerung.

Auf César Francks Variations symphoniques für Klavier und Orchester choreografierte Englands neoklassischer Balletterneuerer Frederick Ashton 1946 seine hellen, zarten Symphonic Variations, live gespielt von Cécile Tallec und den Düsseldorfer Symphonikern unter Wen-Pin Chien. Ganz in weiß treten die drei Ballerinen auf. Schwarze diagonale Streifen trennen das Oberteil der Herren von der nackten Oberkörperseite. Im Bauhaus-Ambiente aus orange-lindgrünen Wänden, über die sich schwungvoll schwarze Linien ziehen (Ausstattung: Sophie Fedorovitch), formiert man sich streng geometrisch und bewegt vor allem die Arme mitunter wie Puppen vom Bauhausmeister Oskar Schlemmer. Gerade nach vorn oder nach oben werden die Arme gestreckt, die Hände immer wieder gerade abgewinkelt, die Sprünge gerade in die Höhe geführt. An Ashtons Ausdruckstanz-Reminiszenz Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Duncan erinnern vor allem die Tänzerreihen - und man hofft, er hat sie tatsächlich mit dem Augenzwinkern choreografiert, mit dem Camille Andriot das Duncan-Solo 2013 hier so zauberhaft tanzte. Neben den drei Damen So-Yeon Kim, Ann-Kathrin Adam und Doris Becker bewähren sich als männliche Partner die Ensembleneulinge Rink Sliphorst, Eric White und Brice Asnar.

Hans van Manens Ballett Two Gold Variations von 1999 zu den beiden ersten Sätzen aus dem Goldrush Concerto für Schlagzeug und Orchester des Niederländers Jacob ter Veldhuis erlebt an diesem Abend seine Deutsche Erstaufführung. Es erweist sich als Höhepunkt dieses Programms. In den sachlich raffinierten Kostümen von Keso Dekker, die kurzes Tutu und hautenge männliche Beinkleider des klassischen Balletts en passant zitieren, scheint die Choreografie die Ansätze der beiden vorangegangenen Werke zu subsummieren und die Technik durch ein menschliches Profil in van Manens unverkennbar klarer, geradezu asketischer Handschrift zu ergänzen. Keine Geste, keine Bewegung, kein Moment ist zu viel oder zu lang. Im Zuschauerraum herrscht atemlose Stille. Im Orchestergraben tobt ein Orkan genialer Virtuosität.

Reglos steht Marlúcia do Amaral in der Bühnenmitte. Wie Blitze zucken ihre Arme und Beine durch die Luft mit der Energie und Souveränität einer Naturgewalt. Lautlos tritt Bruno Narnhammer aus dem Dunkel, sie zu bändigen oder erobern. Sechs weitere Paare kommen nach und nach von hinten und den Seiten, tanzen kurze Pas de deux wie Partygäste, die sich vorstellen. Ein Ensemble folgt, dann ein großes Duett von do Amaral und Narnhammer. Die erotische Spannung kulminiert in der Selbstbefreiung der Frau, die sich mit eiskaltem Bedacht die Haare löst und auf den Mann zugeht. Das Bühnenlicht verlöscht. Ein Sturm der Begeisterung bricht im Parkett und auf den Rängen aus. Einige Zuschauer konnten sich nicht so recht entscheiden zwischen der Faszination des Tanzes und dem fulminanten Spiel der beiden Schlagzeuger Kevin Anderwaldt und Rafael Sars. In jedem Fall hat die Tanzwelt einen „neuen van Manen“ - beim Ballett am Rhein läuft's weiter optimal.