Friedlicher Wettstreit
Dass sich Bach und Beethoven vortrefflich vertanzen lassen, ist schon längst kein Geheimtipp mehr in der Tanzwelt. Wie charmant, elegant und dynamisch das aussehen und dazu noch konzertreif klingen kann, zeigen jetzt Bridget Breiners Ballett im Revier und die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Valtteri Rauhalammi im Großen Haus des Musiktheaters im Revier. Drei halbstündige Ballette von drei Choreografen auf Präludien von Johann Sebastian Bach sowie zwei im selben Konzert uraufgeführte Orchesterwerke Ludwig van Beethovens - das ist die Auflösung der mathematischen Formel B3 im Titel dieses glänzend gelungenen, stürmisch gefeierten Abends.
Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, in welch rasantem Tempo und mit welch stupender Vielseitigkeit die einstige Dresdner Primaballerina und langjährige Erste Solistin des Stuttgarter Balletts als Ballettchefin reüssiert. Sie hat dabei, nicht zuletzt durch ihre entwaffnend sympathische Art, alle erdenkliche Unterstützung aus dem Haus - diesmal ganz besonders vom Ersten Kapellmeister, dem nicht nur der so gefürchtete Spagat zwischen "gut" gespielter Klassik und tänzer-gerechter Stabführung bravourös gelingt. Er beschert darüberhinaus mit seiner Orchestrierung von neun Präludien aus Bachs Klavierzyklus Das wohltemperierte Klavier für David Dawsons Gruppenchoreografie A Sweet Spell of Oblivion dem zarten Original ein „süßes Vergessen" - am Ende möchte man dieses ganze barocke Meisterwerk orchestriert hören.
David Dawson, dessen Giselle in der Co-Produktion des Ballett im Revier mit dem benachbarten Essener Aalto Ballett Theater in Gelsenkirchen ein Hit war, choreografiert einen selbstvergessenen Traum von delikater Ästhetik. In hautfarbenen Trikots treten die drei Tänzer und vier Tänzerinnen in neoklassischen Formationen auf. Das kleine Stück ist das technisch schwierigste dieses Abends (weil durchweg auf Spitze getanzt) und gelingt nur so gut, weil die kleine Truppe ständig durch hochkarätige Neuzugänge und sehr viel Fleiß an Qualität gewinnt. Louiz Rodrigues und José Urrutia profilieren sich eindrucksvoll mit den Damen Francesca Berruto, Rita Duclos, Ayako Kikuchi und der sich bescheiden zurückhaltenden, dennoch (natürlich) überragenden Bridget Breiner.
Breiner hat als Mittelstück dieses Dreiteilers ihr Original von Hold Lightly, entstanden vor Jahren für die Mannheimer Kompanie von Kevin O'Day als ihre erste größere Choreografie, auf Beethovens 3. Klavierkonzert für acht Tänzer (in Schläppchen) bearbeitet. Als musikalischer Solist beeindruckt Pianist Christian G. Nagel. Durch Raffinement fällt das Bühnenbild ins Auge: über der weißen, quadratischen Tanzfläche schwebt ein „Dach" mit schmiedeeiserner Umzäunung einer weißen, elastischen Plane mit Schlitzen, die flugs herabschwebt, um als Fantasiegarten zu dienen, aus dem Menschlein wachsen. Einzige Requisiten sind banale Metall-Wischeimer und rote Plastikeimerchen, wie sie Kinder am Strand benutzen. Dass sich da witzige Variationen und Spielchen von sitzen, türmen, schütten und schütteln ergeben, liegt auf der Hand - und die Zuschauer votieren mit Händen, Füßen und Stimmen: Publikumsliebling!
Dynamik pur, lustvolle Saft- und Kraft-Luftnummern konterkariert der hierzulande noch weniger bekannte Portugiese Benvindo Fonseca mit dem Ensemble für Dawn of an Announced End mit Beethovens rhythmisch und emotional höchst vielfältiger Sinfonie Nr. 2. Düster ist der Raum, abrupt auch mal pechschwarz: die Lichter gehen aus im Revier für die Industrie - Kultur greift Platz, angedeutet durch ein edles neoklassisches Duett von Breiner mit José Urrutia. Glitzernd regnet es rote Erde - Reverenz, wie später die Kleiderkörbe, an Bergmannsalltag im Revier einst. Schwarz sind die langen, weiten Hosenröcke der Männer, wie Flamenco-Rüschenröcke zur Trauerfeier die Kleider der Frauen. Das Leben in seinen düsteren Schattierungen wabert über dem Raum. Aber es wird immer heller - bunt werden die Kleider, hell ist die letzte Szene. Hoffnung keimt auf, lachend stehen die Tänzer im Sonnenschein unter dem roten Regen - was für ein herrliches Bild"! Und doch haftet dieser modernsten Choreografie des Abends etwas Unheimliches, Bedrohliches an.
Tanzsatt und sehr animiert verlassen die Zuschauer nach stehenden Ovationen das Theater.