Mit Liebe zum Detail
Neues von der Kölner Oper. Das Haus, das seit Jahren über keine eigene Tanz-Compagnie verfügt, überrascht mit einer überaus gelungenen Tanz-Uraufführung für ein junges Publikum. Ermöglicht wird das durch eine Kooperation mit der Kölner Musikhochschule, von der auch die zehn jungen Tänzer ‚ausgeliehen‘ werden konnten. Zunächst wirkt die Gestaltung des Sujets ein wenig holzschnittartig: der Junge Chip führt ein ‚normales‘ Kinderleben, sozusagen voll aus der Klischeekiste. Der Vater ist ganz mit sich und seiner Arbeit beschäftigt. Die Mutter blüht auf, wenn sie Party-Besuch hat und behandelt ihren Sohn dann wie einen Dienstboten. Einziger Freund: ein Hund. Einzige Freude: Bücher. Im Schlaf taucht Chip buchstäblich in ein Buch ein, erlebt Abenteuer und findet und verliert einen Freund. Als er aufwacht, weiß er, dass er es so schlecht gar nicht getroffen hat, auch seine Eltern stellen sich als gar nicht empathielos heraus. Die Geschichte klingt ein wenig nach Unendlicher Geschichte oder Tintenherz, läuft allerdings wesentlich unspektakulärer ab – und mit oft zu langen, manchmal ganz unnötigen Dialogpassagen.
Dass Zwischen den Seiten ein besonderer Theaterabend (hier besser: Theatermorgen) geworden ist, liegt an der Liebe zum Detail auf nahezu allen Ebenen. Das gilt für die Choreographie von Johnny Lloyd, die viele schöne, kleine, vor allem atmosphärisch starke Momente hat wie für das klare und differenzierte tänzerische und darstellerische Spiel aller Beteiligten. Christof Cremer hat ein farblos stilisiertes Wohnzimmer mit einer verdeckten Projektionsfläche gebaut, hinter der zwei Schattenspiele ablaufen, ein Schaulaufen von Fantasy-Motiven, bei dem genau zu sehen ist, wie es entsteht, was die Faszination noch verstärkt, und ein kleiner, fast alltäglich und darum umso herzlicher wirkender Pas de Deux der Eltern am Ende. Das Buch als Handlungsort wird durch Papierbahnen angedeutet, die sich bis an die Decke des Staatenhauses ziehen und von Nicol Hungsberg suggestiv traumartig ausgeleuchtet werden. Dazu kommt Sven Kacireks Musik, von ihm selber am Marimbaphon, Computer und allerlei Schlagwerk als Ein-Mann-Orchester aufgeführt. Ein sanfter, aber unruhiger, unregelmäßiger, von Minimal Music inspirierter Soundtrack, der Stimmungen behutsam auslöst, aufnimmt und weiterführt, schon für sich genommen ein Ereignis.
Der gelungenen Premiere wuchs weitere Bedeutung dadurch zu, dass eine Gruppe Flüchtlingskinder zu Gast im Staatenhaus waren, die überaus intensiv zusahen und –hörten – und denen dieser Aufführungsbesuch fühlbar viel bedeutete. Eine schöne Initiative der Kölner Oper! Und dem Vernehmen nach kein Einzelfall.