Tänzer choreografieren in Münster
Wenn Hans Henning Paar vom TanzTheaterMünster in den Ballettsaal lädt, hat er immer etwas Besonderes in petto. Diesmal zeigten fünf Mitglieder seiner Truppe im Dance Lab eigene Choreografien. Für derartige kleinformatige Experimente bietet die Intimität des Probensaals der Tänzer ein ideales Ambiente. Der Zuschauer fühlt sich hineingenommen in die Arbeitswelt der Künstler.
Welche Sehnsucht, Hoffnungen und Wut sich hinter dem schönen Schein eines Menschen oft verbergen, wollte Keelan Whitmore in Beneath the Surface of Appearances (Unter der Oberfläche von Erscheinungen) zeigen - ein ideales Tanzthema also: was Körpersprache manchmal verrät. Sportiv, aggressiv und zickig von der impulsiven Maria Bayarri Pérez, der hochgewachsenen Agnès Girard und der temperamentvollen Elizabeth Towles in Szene gesetzt, setzen sie die perplexen drei "Machos" Thanh Pham, Adam Dembczy?ski und Jason Franklin glatt schachmatt. Großes Plus dieser viertelstündigen Lektion über Missverständnisse in Paarbeziehungen war die von Hiroko Ishigame gespielte Klaviermusik von Erik Satie und Alexander Skrijabin.
Den „Widerspruch zwischen deinem äußeren und inneren Selbst" bringt auch Mirko De Campi in seinem Duett Inside Eden zum Ausdruck. Ebenso elegant wie sensibel tanzen Ako Nakanome und Jason Franklin auf die vorzügliche Musikkollage.
Auf psychologische Spurensuche begibt sich auch Maria Bayarri Pérez in ihrem Terzett Impressions - einem stilistisch besonders harmonisch choreografierten Stück über „Positive und negative Eindrücke, die Menschen, die durch unser Leben gehen, hinterlassen". Die Spannung einer Dreiecksliebesgeschichte wird kaum angedeutet - ein kleines Manko vielleicht. Womöglich tanzen Agnès Girard, Aka Nakanome und Alessio Sanna zu der Rockmusik der amerikanischen Band Nine Inch Nails einfach zu ebenmäßig schön.
Passen sich diese drei Kurzchoreografien auf sanfte Weise dem Spielzeitthema „Licht- und Schattenseiten der menschlichen Existenz" an, so weist Jason Franklin mit seiner explosiven Gruppenchoreografie Unknown auf die finsteren Bedrohungen in der heutigen Welt hin. Grelle Scheinwerfer leuchten ins Dunkel. Schemenhaft traktieren drei Brutalos drei Opfer, denen sie schwarze Kapuzen über die Köpfe gezogen haben. Alle tragen schwarze Socken (wie Stiefel), dunkle Glockenröcke und weite Schlabberpullover (wie aufgeweichte Kettenhemden). Hier herrscht das Faustrecht. Stroboskopisches Flackern und glutrote Beleuchtung signalisieren Folter und Blut. Die Opfer befreien sich - und vereinen sich mit den Tätern zu einem furiosen Tanz der Derwische.... Diese letzte Szene im blaubelichteten Halbdunkel ist reif für die große Bühne!
Ein richtiger Rausschmeißer am Ende der Saison ist Elizabeth Towles' Regen, wobei nicht ganz klar ist, ob es hier mehr um das Nasswerden oder das Bewegen der Glieder geht. Zu Beginn versucht Jason Franklin ein klassisches Solo auf Adolphe Adams „Giselle"-Musik und sonnt sich in den euphorischen Ovationen seiner Fans an der „Rampe". Nach einer Slapstick-Nummer von Priscilla Fiuza und Thanh Pham versucht sich Agnès Girard als Bühnendiva, macht sich dabei aber ordentlich nass und rutscht beängstigend gefährlich auf den Pfützen aus den geplatzten wassergefüllten Luftballons aus. Soviel zum Thema Futterneid und Künstlerpech im Rampenlicht. Dank wirklich witziger Grimassen und Verrenkungen der beiden Männer eine Lachnummer.