Muss wirklich jede Show weitergehen?
Wenn der Lappen hochgeht, schlägt jedes Theaterhasenherz höher. Und wenn dann auch noch eine Show über die Bühne geht, bei der jeder praktisch alles ausprobieren und bislang ungeahnte Talente vorführen darf, dann kennt der Spaß keine Grenzen. Schnell sprang der Funke vom Varieté-Flair auf der Bühne aufs Publikum im Parkett über, als im Bielefelder Stadttheater die Show!, eine groß angekündigte, konzertierte Aktion von Tanz und Schauspiel, Premiere feierte.
Eine Trompete glitzert an der Rampe. Ein Mikrophon steht bereit. Durch den roten Samtvorhang lugt im grellen Scheinwerferkegel Billie Banane (Schauspieler Georg Böhm), Direktor und Conférencier der Schau. Aufgemotzt wie ein Clown gestikuliert er beim Entrée wie Grog & Co. Gut verstehen kann man allerdings nicht, was er zu verkünden hat. Da hilft Übersetzerin Ayumi (die quirlige Tänzerin Saori Ando) leider auch nicht viel; denn ihre Muttersprache ist japanisch. Das allerdings spricht sie mit hochdramatischen Akzenten, Witz und graziösester Mimik und Gestik. Voilà: der unbestrittene Publikumsliebling ist gekürt, bevor alle anderen sich brav mit einem kurzen, meist eher dürftigen Varieté-Nümmerchen vorstellen konnten. Da lässt der Zauberer ein Tüchlein verschwinden, der Messerwerfer traut sich nicht auf die Drehscheibe mit seinem feisten Lehrmeister Leo (Oliver Baierl) zu zielen. Endlos lange und immer wieder schwingen sich viele auf den Kronleuchter, schwebt die fliegende Arabella (Tänzerin Elvira Zuñiga Porras) vom Schnürboden herab, tanzt Püppchen Olympia (Noriko Nishidate), kommt Seiltänzer Phil (Kenan Dinkelmann) hingegen nicht zu Potte. Die beiden dramatischen Damen Helena (Nicole Lippold) und Kassandra (Laura Maria Hänsel) sind meist fehl am Platz oder gar im Weg.
Das bunte Varieté-Treiben wirkt recht dilettantisch. Auf Ah- und Oh-Erlebnisse wartet man vergebens. Was vielleicht witzig gemeint ist oder als Parodie eine Chance haben könnte, kommt sehr bemüht über - abgesehen von Saori Andos Eskapaden und dem melancholischen Marionettengeschlenker von Tänzer Tommaso Balbo als bizarrer „ewiger Narr" Jacques. Ein Musikantenquartett unterhält anfangs mit Tuba, Akkordeon, Klarinette und Trommel. Später sitzt auf der Hinterbühne eine kleine Combo, ergänzt von Geige und Cello. Das Ambiente könnte aus dem Bielefelder „Trocadero" der 1950er Jahre in den Zuckerbäckerbau neben dem Rathaus transportiert worden sein.
Was die Schauspieler tänzeln, trällern oder rezitieren ist allenfalls Mittelmaß. Was die Tänzer an akrobatischen Kunststücken bieten oder witzeln sollen ist fast schon peinlich. Da hilft es auch nichts, dass die Zwillinge Rose (Johanna Wernmo) und Malve (Isabell Giebeler) schließlich eine Revolte anzetteln und das ganze fahrende Volk zu Demonstranten für „equal pay" mutiert. “The show must go on!" ruft Billie Banane in das Tohuwabohu. Aber da glaubt schon keiner mehr an ein Happy End - weder die im Rampenlicht stehen, noch die im dunkeln Parkett ausharren. Tanztheaterchef Sandroni und Intendant Heicks sind auf eigenem Parkett ordentlich ausgerutscht. In Zeiten eines hochästhetischen und -artistischen Cirque de Soleil oder Cirque Eloize, nach einer Legion hochintelligenter Crossover-Produktionen quer durch alle Theatersparten und Künste sind neue Ansätze, Ideen, Räume und Techniken gefragt.