Mit Hackebeil bewaffnet in Krieg und Frieden
Als Bremens progressiver Theaterintendant Kurt Hübner Ende der 1960er Jahre auch den Tanz in der norddeutschen Hansestadt erneuern wollte, berief er den sich aufmüpfig profilierenden jungen Österreicher Hans („Johann") Kresnik. Der startete seine legendäre Bremer Ära 1970 mit Kriegsanleitung für Jedermann (nach einem zynischen Pamphlet des schweizerischen Unteroffiziersverbandes von 1958). Mit der Politisierung choreografischer Dramaturgie begann Kresniks Choreografisches Theater. Im Rahmen von tanz-nrw 17 fokussierte Münsters Theater im Pumpenhaus an diesem Wochenende auf Kresniks „Ausweitung der Tanzzone." Gefördert vom Tanzfonds Erbe fand am Tag nach der Uraufführung der Truppe bodytalk von Yoshiko Waki mit deren Friedensanleitung für Jedermann der erste Teil eines Symposions zur Bedeutung von Kresniks Werk in der nunmehr „dritten. Generation" politischen Tanztheaters in Deutschland statt.
Dieser Tanzabend gewinnt in Münster besonderes Gewicht im Lutherjahr - 500 Jahre nach Anschlag der 95 Thesen des Thüringer Mönchs gegen kirchlichen Machtmissbrauch, der die Spaltung der Christen in Katholiken und Protestanten auslöste und letztlich auch den 30-jährigen Krieg, dessen Friedensmodalitäten 1648 in Münster und Osnabrück verhandelt wurden. Zudem findet 2018 in der westfälischen Hauptstadt der Katholikentag mit dem Thema Frieden suchen statt.
Die überragende Aktualität dieses Tanzabends (just in diesen Tagen der Entdeckung rechtsextremer Machenschaften und wo möglicher terroristischer Tendenzen in der Bundeswehr) stößt jedem blauäugig friedliebenden Menschen bitter auf. Wakis Friedensanleitung für Jedermann operiert mit ähnlich aggressiven Mitteln und Bildern wie Kresniks Kriegsanleitung. Liebe (zwischen zwei Schwulen) beginnt zärtlich oder (bei Pärchen) fröhlich im schmissigen Boogie-Rhythmus. Bedrängte Opfer werden aus den Fängen gewaltbereiter Täter befreit - und erleiden „zum Dank" brutale Vergewaltigung und Folter. Deutlichster Bezugspunkt zwischen Kresniks und Wakis Stück ist ein Beil, mit dem ein Masochist sich eigene Hautpartien wie Wurstscheiben vom Arm schält und damit seine Opfer füttert. Immer greller, schriller, lauter geht's auf der Spielfläche zu. Gegen die gehämmerte Schlagzeug“kloppe" brüllen die drei Tänzerinnen und drei Tänzer unterschiedlichster Altersstufen und Nationen vergeblich mit ihrem Plädoyer für Ein bisschen Frieden! an. Fehlt nur noch, dass sie mit Beilen einer Schar Friedenstauben die Köpfe abhackten, wie Kresnik geradezu genüsslich vor seinem Besuch dieser Friedensanleitung mutmaßte.
Fazit von Yoshiko Wakis „Antwort" auf Johann Kresniks politische Kritik: Frieden schaffen ohne Waffen funktioniert nicht. Kriegführung und Friedensbewegung operieren mit sehr ähnlichen Mitteln - und oft menschenverachtender Brutalität.
Wakis choreografische Sprache ist nicht neu. Da werden Granden des deutschen Tanztheaters wie Kresnik, Hoffmann und Bausch zitiert. Aber die Japanerin, die sich u.a. bei Kresnik und in Münster bei Birgitta Trommler als dynamische Tänzerin profilierte und jetzt für zwei Jahre mit ihrem „bodytalk" Artist in Residence am Pumpenhaus ist, überzeugt durch die Auswahl der Bilder, die ihr Anliegen verdeutlichen - darunter von Menschen getragene blattlose Bäume (in Bauschs letztem Stück trugen die Äste noch Laub) und das Beil aus Kresniks Kriegsanleitung.
Endlich befreit sich tanz-nrw, die Biennale der NRW-Tanzproduzenten, aus dem Korsett der Werbung für Tanz im Off und diskutiert in Münster ein brisantes Thema deutscher Tanzgeschichte als Kritik an unmenschlichem politischen Verhältnissen. Dabei machte der einstige „Berserker" deutschen Bühnentanzes bei der Podiumsdiskussion auch klar, dass sich viele kritische Experimente und Kommentare zu seiner Zeit in der gesicherten Struktur von kleineren Stadttheatern etwa in Bremen, Wuppertal und Darmstadt entwickeln und formuliert werden konnten, während das heute fast nur noch in der freien Szene möglich sei.