Flexn im Recklinghausen Ruhrfestspiele

Tagespolitik hautnah

Urbane Kunst aus New York bei den Ruhrfestspielen - das ist wie ein Besuch von Verwandten. Denn die „Flexn Community“ (erster öffentlicher Auftritt 2015) hat sehr ähnliche Ziele und Arbeitsweisen wie Hernes „Pottporus“ mit der Performance-Formation „Renegade“ (gegründet 2007). Wie Produzent Zekai Fenerci im Pütt holt auch der Tänzer-Choreograf Reggie Gray junge Menschen von der Straße, weckt in ihnen und fördert Talente, von denen sie selbst nichts ahnten. Sie lernen, ihre Aggressionen, Frustrationen, Ängste und Sehnsüchte mit einer Körpersprache der HipHop-Kultur auszudrücken. Gray selbst - heute ein schwergewichtiger Schwarzer in mittleren Jahren mit faszinierender Zitter- und Stillstand-Technik - war schon als kleiner Junge von Michael Jackson fasziniert und dessen legendärem „Gliding“ (Gleiten mittels weich rollender, wogender Schritte und gleichzeitig rhythmisch abgestimmter Rumpf-, Arm- und Kopfbewegungen). Manchmal sieht diese scheinbare In-der-Luft-Laufnummer wirklich kurios aus: in Stiefeln auf Spitze...

„Flexn“ heißt die vielgestaltige HipHop-Tanztechnik, die Gray seine Truppe jetzt lehrt. Sie umfasst viel mehr als Jacksons Bewegungsvokabular. Sie gibt den schwarzen Ensemblemitgliedern - unter den 13 jungen Männern und zwei bildschönen Mädchen eine blonde Deutsche, die deutlich europäische artistische Akzente setzt und überhaupt deutlich sichtbar einer anderen Kultur entstammt - weitaus größere Freiheit, ihr „Ding“ zu machen, ihre „Geschichte“ zu erzählen. Unfassbar virtuose, berührende Soli sind da zu sehen - Gruppen, die sich feindlich begegnen - Episoden von Liebe und Hass, Kampf und Totschlag. Im „bone breaking“ (Knochenbrechen) verschlingen sich die Arme immer wieder auf dem Rücken und deuten die Form eines Gewehrs an.

Dass soziale Ungerechtigkeit, Benachteiligung in allen Lebensbereichen oder Gefühle wie Ausgrenzung, Scham, Verzweiflung und unendlichen Überlebensmühen beherrschende Themen nicht nur dieser hinreißend ehrlichen, schreiend lauten Performance sind, vergegenwärtigt der halbstündige „Vorspann“ mit dem weltberühmten Mit-Autor der Tournee-Show Peter Sellars, Reggie Gray und einer handvoll von Flüchtlingen, die, aus aller Welt kommend, auf ein neues Zuhause in der Region Recklinghausen hoffen.

Tagespolitik hautnah - die Tanzfreude der New Yorker Truppe riss das Revier-Publikum zu Beifallsstürmen hin.