Dakhla im Theater Marl

Electric Boogie und Menschlichkeit

Faszinierend ist diese minutiöse Präzision kleinster Zuckungen oder ausladender Beugungen und Streckungen, das irre Tempo gefolgt von atemlosem Verharren, der fliegende Wechsel von synchronen Gruppenformationen mit betont gegenläufigen "Clustern". Mal wie ferngesteuerte Roboter, mal wie ungelenke Marionetten huschen die beiden zierlichen Tänzerinnen und die zwei so gegensätzlichen Tänzer - ein muskelbepackter, riesiger Boxertyp und ein zarter, eleganter Ballerino - im Muster aus minimalen Szenen über die meist düstere, kahle Spielfläche, die nur durch eine hell leuchtende Öffnung in der schwarzen Begrenzung unterbrochen wird - das immer schmaler werdende Tor zu Freiheit, Gleichheit, Zukunft in Hafenstädten wie Algier, New York oder Hamburg. Technisch begegnen sich HipHop-Szene und zeitgenössischer Tanz neoklassischer Provenienz.

Für den algerisch stämmigen, französischen Choreografen Abou Lagraa ist Tanz synonym „für Freiheit und Begegnung". Seit 1997 hat er rund 30 Choreografien mit seiner kleinen Truppe La Baraka (arabisch für „eine Chance haben") einstudiert. In der mittelalterlichen Kirche Sainte Marie von Annonay bei Lyon, Lagraas Heimat, haben sie neuerdings ihr Domizil und touren weiter international.

Die Deutschlandpremiere von Dakhla - der Name der marokkanischen Hafenstadt am Atlantik bedeutet „Tor zur Freiheit" - im Theater Marl passt wohl zum diesjährigen Motto der Ruhrfestspiele Kopf über - Welt unter. Aber man weiß ja inzwischen, dass das rettende Tor selten ins erhoffte Paradies führt. Dennoch berührt der positive Tenor dieses Choreografie.

Manche Zuschauer waren offensichtlich vom lauten, stark repetitiven wummernden Beat der Klangkulisse genervt. Nach heutiger Erfahrung mit der vielseitigen HipHop-Technik kam auch der Electric Boogie, durchsetzt mit zeitgenössischen Tanztendenzen, zu einseitig daher. Dennoch gipfelte die einstündige Aufführung in lang anhaltendem Applaus für die sympathischen Gäste. Ihr strahlendes Lächeln, als sie die ihnen vom Theater überreichten langstieligen weißen Rosen ins Parkett warfen, brach den Bann vollends.