Alvin Ailey American Dance Theater im Kölner Philharmonie

Rasse, Klasse und Erotik

Zur Sonne, zum Licht! Ab in den Süden!“ So könnte das Motto des Abends lauten. Eines Abends mit über 30 Tänzerinnen und Tänzern des „Alvin Ailey - American Dance Theatre“, der voller Temperament, grandioser Körperbeherrschung und Präzision in Bann zieht und seit fast 60 Jahren Zugpferd des US-amerikanischen Tanzes ist. Revelation, 1960 in die Tanz-Welt gepflanzt, begründete Alvin Aileys Ruf und Ruhm und ist noch heute fester Bestandteil der weltweit agierenden Company, deren 1931 in Texas geborener Gründer mit 58 Jahren 1989 starb. Sein choreographisch-tänzerischer Geist lebt freilich bis heute.
Wege in den Süden
Auf ihrer diesjährigen Europa- und Deutschland- Tour, auf der die Truppe auch beim 30. „Kölner Sommerfestival“ in der Kölner Philharmonie ihr Können zeigt, führt aber nicht nur Aileys Meisterstück in den tiefsten Süden der USA und damit ins afroamerikanische Herz, dem sich der Schwarze Ailey zutiefst verpflichtet fühlte. In den Four Corners, 2013 choreographiert von Ronald K. Brown, sind neben Modern Dance-Elementen die westafrikanischen Wurzeln nicht zu überhören. In Exodus, von Rennie Harris vor zwei Jahren ins tänzerische Leben gerufen, gilt es, das Leben zu feiern. Mit Takademe von Robert Battle, dem Nachfolger Aileys und Chef der New Yorker Truppe, geht`s schließlich nach Indien und in die Bewegungswelt des Kathak-Tanzes.
Doch womit auch immer die Company die nackte Bühne mit ihrem Leben aus Musik, Rhythmus und Körperbeherrschung füllt: Es ist, in mehrfachem Sinn, eine farbige Kunst. Von ihrem schwarzen Gründer bis zu ihren „südlichen“ Spielorten.
Teil 1: Four Corners
Mystisches scheint die elf Tänzerinnen und Tänzer in den Four Corners an- und vorwärtszutreiben. Aus der Mitte ihrer Körper scheinen die Kräfte in weit ausgebreitete Arme und raumgreifende Sprünge und Schritte zu fließen. In dauernder Bewegung wechseln die Akteure von Soli zu miteinander korrespondierenden Gruppen. „Engel“, so versucht der Begleittext zu klären, „halten an den vier Enden der Welt die vier Winde fest“. Grandios zeigen sich die Körperbeherrschungen der Truppe. Der Modern Dance-Kern kann dabei die Sehnsucht nach westafrikanischen Wurzeln nicht vergessen machen. Ein grandioser Auftakt, der die Sprung- und Spielkraft der Truppe, gebändigt durch bewundernswerte Konzentration, auf einen ersten Höhepunkt treibt.
Teil 2: Exodus
Eine Deutschland-Premiere ist, nach den Corners, auch Exodus von 2015 in der Regie von Rennie Harris. Mehr als nur eine Prise Hiphop beherrscht die 20 Minuten dieser Choreographie. Amorph und unübersichtlich ist anfangs die Menge der 16 Tänzerinnen und Tänzer. Jeder zuckt und ruckelt sich in das Stück. Erst allmählich gehen die wie Etüden Einzelner wirkenden Zuckungen in gemeinsam ertanzte Rhythmus-Bewegungen über. Gelöster wird die Stimmung, unverkrampfter und in zeitlupenartigen Bewegungen halten die zuvor hektischen Tanz-Explosionen inne. Soli wechseln mit Pas de Deux und gruppendynamischen Expressionen. Ruhephasen bringen Struktur in die Choreographie.
3. Teil: Takademe
Mit Takademe folgt die fünfminütige Explosion eines Männerkörpers. Grandios, nicht selten voller Witz, in einem ungewöhnlichen Wirbel aller Teile seines Körpers, formt Yannick Lebrun die tänzerische „Übersetzung“ eines „Liedes“, das weniger Gesang als die hämmernde Folge kaum zu verfolgender abgehackter Silben und Wortteile ist. Das sind fünf Minuten körperlich präsenter Extraklasse. Fünf Minuten lang wird man in die Welt des indischen Kathak-Tanzes verweht. Voller Sprünge und Kontraktionen, mit flatternden Armen und verschränkten Beinen - eine Schau beherrschter Körperlichkeit in einer Choreographie von Robert Battle, dem Chef der heutigen Ailey-Company.
4. Teil: Revelation
Schluss- und angestrebter Höhepunkt einer jeden Präsentation der Truppe aus New York ist ein Blick zurück – auf die Choreographie Revelation („Offenbarung“), mit der Alvin Ailey 1960, also mit 29 Jahren, seine Weltkarriere als Choreograph startete. Wie in keinem anderen der modernen Choreographien ist hier der Blick auf seine schwarzen Landsleute im tiefsten Süden der USA gerichtet.
Aus der Sklaverei in die Moderne
Mit einem geradezu rituell anmutenden Paar-Tanz geht’s hinein in die Geschichte. Harmonie spiegelt ihr Tanz, Liebe und engste körperliche Verbundenheit. Dann wird, in einer der zahllosen Einzelszenen des Stücks, Jesus gospelartig beschworen, der friedliches Zusammenleben anmahnt. Aus den recht schwergewichtigen und zähen Anfangsszenen erwachsen dann schließlich heiter-ausgelassene Bilder und Szenen von südlichen Stränden. Flatternde Tücher spielen Meer, weiß gekleidete Paare bersten vor Lebensfreude. Die Karibik lockt. Allein die Arm- und Beinbewegungen sind von überschwänglicher Freude geprägt. Als wollten sie sagen: „Komm in meine Arme, Welt!“
Eine Hommage auf das Leben
Dramatisch wird die Szene, in der ein Vereinzelter, ein Mann, begleitet vom Song „I Wann Be Ready“, versucht, sich vom Boden aufzurichten, oben zu bleiben - und doch immer wieder zurückfällt. Ob er je „ready“ wird, Jesus, auf den er hofft und in dessen „Grace“ er wandelt, ihn unter seine Fittiche nimmt, bleibt dabei letztlich dramatische Ungewissheit. Eine mitreißende Szene.
Einem Trio Infernal-Spektakel folgt und beendet zugleich den Abend ein gemeinsamer Tanz von neun Frauen. Mit verspielten Hütchen, weiten Röcken und wedelnden Fächern wiegen sie sich im Rhythmus der Musik. Dann springen neun Männer in die köstlich verspielte mädchenhafte Szene, schnappen sich die Frauen - und die Welt ist in bester Ordnung.
Wie war das noch? Die 36-minütige Hommage auf das Leben und die Zukunft, erfunden und choreographiert im Jahre 1960. Als habe Alvin Ailey geahnt, was seinem Meisterstück in den Jahren danach noch folgen sollte.
Rasender Applaus und Stehende Ovationen.
(Aufführungen noch bis Sonntag, 13. August 2017; 2 ¼ Stunden inkl. 2 Pausen)