b.33 im Duesseldorf Oper

b.33

Als „Klangchoreographie“ tituliert Adriana Hölszky ihre zweite Auftragskomposition für das Ballett am Rhein Düsseldorf/Duisburg, Roses of Shadow. Die deutsch-rumänische Komponistin überträgt das jahrhundertealte Opern-Argument „Erst die Musik, dann das Wort - oder umgekehrt?“ damit (scheinbar) auf den Bühnentanz. Zeitlich ist ihre Tonschöpfung für acht vielfältig eingesetzte Instrumentalisten und eine Frauenstimme tatsächlich vor Schläpfers Choreografie entstanden, die Einstudierung des Balletts erst nach der Einspielung der musikalischen Partitur im Sommer. Tatsächlich aber liegt es Hölszky fern, ihr faszinierend theatrales Kunstwerk in den Vordergrund zu stellen. Mehr noch als in der ersten Zusammenarbeit Deep Field vor drei Jahren harmonieren Musik und Tanz auf einer intellektuell spirituellen Ebene aufs Schönste. Hölszky hat sich für Roses of Shadow von Naturgedichten amerikanischer Ureinwohner („Native Americans“ nennt man die „Indianer“ heute in den USA) und Shakespeares 67. Sonett inspirieren lassen. Von der „dürftigen Schönheit“ welkender „Schattenrosen“ ist darin die Rede, von der Vergänglichkeit allen Lebens. Die Schönheit des Lebens in der Natur dagegen preist ein indianisches Gedicht: „Zieh einen Kreis aus Gedanken um den sanften stillen Berg, und der Berg wird zu Kristall...“

Der Duisburger Künstler Marcus Styros Bertermann stellt einen gewaltigen Monolithen auf die Bühne. Schwarz ist der Koloss zuerst. Später fällt Licht darauf. Blau, golden oder silbern glitzernd heben sich einzelne Flächen ab. Kostbar wie ein Edelstein ist alles Leben. Aber auch voller Mühen. Mit einem voluminösen, lang nachhallenden Glockenschlag beginnt das Fest von Leben und Tod als Ritual. Reglos wie Bäume nach einem Sturm ragen drei menschliche Säulen vor dem Felsen auf. Wenn sie sich in Bewegung setzen, erkennt man Männer, die ihre toten Frauen zu schleppen scheinen. Dann aber regen die sich. Szenen wie aus der skandinavischen Welt der Trolle spielen sich nun ab. Minutiös folgen immer mehr Menschen der Dynamik und Stimmung der Musik, ohne je in plumpe Illustration abzugleiten. Über schwarze Trikots oder Hosen fallen den neun Tänzerinnen und acht Tänzern pastellfarbene Schärpen, sind Stoffrechtecke genäht.

Nie wird ein aggressives Aufbäumen hör- oder sichtbar in dem Tohuwabohu, wohl aber ein grenzenloses Erstaunen und feine Melancholie. Auch Lebensfreude, wohltuend naive Ergebenheit. Helligkeit und Licht blitzen auf. Dann vibrieren Klänge und gespreizte Hände - Akkordeon- und Mundharmonikatöne mischen sich unter Rasseln, Klappern, japanische Zither (Koto), Holzklöppel, Tam-Tam, Alphorn, Becken, Rainmaker, Klavier, Cello, Geige und noch viel mehr Instrumentarium. Der helle Sopran von Angelika Luz kippt vom Gesang ins Parlando, rezitiert fragend, seufzend, jubelnd. Dazu grummelt, knarzt und schnalzt es. Die Tanzenden winkeln die Füße ab, werfen sich einen Gummiball zu, umschlingen einander, ringen im kunstvoll geordneten Chaos von Klängen und Bewegungen. Körper wirken wie Gegenstände, Posen zerfließen poetisch. Schließlich legen sich alle wie zum ewigen Schlaf platt auf den Boden. Nur zwei sitzen aufrecht und still, bis Licht und Klang vergehen. Nein, „falsche Kunst“, die Shakespeare in seinem Sonett geißelt, wird hier mitnichten zelebriert.

Martin Schläpfer setzt durch diese Zusammenarbeit mit der Grande Dame der zeitgenössischen Musik wieder höchste Maßstäbe für den Bühnentanz im 21. Jahrhundert. Dazu gehört auch die staunenswerte Entwicklung seiner Kompanie. Präzision, Virtuosität und Ausdruckskraft begeistern in den historischen Meisterwerken Balanchines Strawinsky Violin Concerto (von 1972 mit Marc Bouchkov, Geige) und van Manens Polish Pieces (von 1995 - deutsche Erstaufführung 1999 in Düsseldorf [!] mit Wolfgang Wiechert am Klavier). Köstlich ist zu beobachten, wie hier sehr ähnliche Konzepte in unterschiedlichen choreografischen Handschriften zu erleben sind: zum Auftakt des Abends akademisch streng neoklassisch im Balanchine-typischen Schwarz-Weiß und als hochkarätiger van Manen-Rausschmeißer verspielt bunt und tanztechnisch sehr viel freier formuliert (in Keso Dekkers Ganzkörpertrikots). Nahezu perfekt synchron tanzen hier wie dort kleine Gruppen im nahtlosen Wechsel mit Solisten oder Paaren - wie das drahtige Paar Aleksandra Liashenko und Eric White sowie die hochgewachsen eleganten Partner Claudine Schoch und Marcos Menha bei Balanchine. Sonia Dvorák und Philip Handschin einerseits, Julie Thirault und Rashaen Arts andererseits setzen Glanzpunkte in van Manens fröhlichen Gesellschaftsspielchen.  Kapellmeister Wen-Pin Chien hält die musikalischen Fäden bei allen drei Teilen dieses anspruchsvollen Programms souverän in der Hand. So wurde die Premiere von b. 33 musikalisch wie choreografisch ein Ballettabend großer Meister der Moderne.