Übrigens …

b.34 im Theater Duisburg

Vom frühen Tanztheater zum modernen Ballett

Eigentlich müsste die knapp halbstündige Choreografie des Stuttgarter Meisters tänzerischer Muskelspiele „Beherrscher der Geister“ heißen. Denn Marco Goecke hat Michail Fokins Le Spectre de la rose, Gala-bewährtes „Choreografisches Bild“ von der Traumromanze eines Mädchens nach einem Ball mit dem Geist der Rose auf Carl Maria von Webers  Aufforderung zum Tanz, um dessen Ouvertüre „Der Beherrscher der Geister“ erweitert. Sechs Vasallen (in edlem rot-schwarz von Kostümbildnerin Michaela Springer) des um die Schöne werbenden Geistes (mit sinnlichen, rot samtenen Armstulpen) tauchen aus dem finsteren Off auf, streuen verschwenderisch Rosenblüten, zittern und hüpfen diensteifrig ganz im Takt der Musik - verschwinden diskret im Dunkeln. Das Paar - Mariana Dias und Bruno Narnhammer - zelebriert herzklopfende Erwartungen des Mädchens, Annäherungen und engumschlungene Kopulation im Walzertakt mit makelloser technischer Virtuosität à la Goecke. Jeder Muskel zuckt, Hände zittern und flattern, Dias' Körper ruckt und fiebert. Dominanz signalisieren Narnhammers Umarmungen und das „schickliche“ Umfangen zum (damals, im 19. Jahrhundert, unschicklichen) Gesellschaftstanz. Ein düsterer, sinnlicher Nachtmaar von vibrierender Liebessehnsucht zwischen gestern und heute.

Eingerahmt von Martin Schläpfers rustikal-humorigen Appenzellertänzen von 2009 und Kurt Jooss' legendärem Antikriegsballett Der Grüne Tisch von 1932 ging die nordrhein-westfälische Erstaufführung von Marco Goeckes Le Spectre de la rose bei der umjubelten Präsentation durch die acht Tänzer des Ballett am Rhein, gecoacht von Giovanni Di Palma und Fabio Palombo, über die Bühne des Theaters Duisburg. 

Wie Tanz Heimatgefühle bitter-süß aus der Distanz artifiziell verfremden kann, das hat Martin Schläpfer mit seiner Choreografie in sieben Szenen über das Appenzell formuliert. Remus Sucheana hat das Stück einstudiert. Weidezäune durch die die Kuhglocken-laute Almauftrieb-Prozession wandert, schweben nach oben. Die Pfosten spenden der Almhüttenstube karges Licht, wo die Sennerin (Marlúcia do Amaral) sinnt, bis der Hüne (Marcos Menha) sie „nimmt“. Später wird sie in der Kneipe leichte Beute leichtsinniger Burschen, während Cassie Martín sich als ein fröhlicher Springinsfeld mit weiten Sprüngen an der Natur freut. Unter Heubündeln ächzen Yuko Kato, Boris Randzio und Yoav Bosidan. Die kurze Rast dient zum „Quickie“ für zwei, während der Dritte seufzend das Heu bewacht. Die Bergketten malt Ausstatter Thomas Ziegler als stilisierte Silhouetten auf den Rückprospekt. Davor spielt ein großes Kind (Pedro Maricato) mit einer Pappmaché-Kuh - bis Claudine Schoch spielerisch-raffiniert Spielzeug und Kind-Mann erobert.

Die Aktualität von Kurt Jooss' politischem Statement über die weltbeherrschenden Herren (und Damen hinter kühl kalkulierenden männlichen Masken!) ist ungebrochen. Eingangs- und Endszene von Der Grüne Tisch erinnern gerade eben an die deutschen „GroKo“-Verhandlungen - glücklicherweise mit weitaus positiveren Themen als Jooss' „schwarze Herren“ sie affektiert diskutieren. Jeanette Vondersaars Einstudierung und künstlerische Produktionsleitung dieses „Totentanzes in acht Bildern“ gibt der Aufführung ungewohnte Frische. Die Pianisten Christian Grifa und Wolfgang Wiechert werden das exakte Zusammenspiel im Lauf der Aufführungsreihe sicher noch verfeinern.

Der Facettenreichtum des Dreiteilers vom frühen Tanztheater - in Münster von Jooss mit Cohen und Heckroth in den zwanziger Jahren erdacht - bis zum zeitgenössischen Ballett ist beeindruckend.