Drei Gesichter zeitgenössischen Tanzes
Mit einem demonstrativen Signal endete der erste Premierenabend dieser Saison des Hagener Balletts: als der weltberühmte israelische Choreograf Itzik Galili imVerbeugungsritual die Bühne betrat, erhob sich das Publikum, um ihm zu danken. Denn er hat für Ephemeron - einen Teil seines abendfüllenden, umweltkritischen Stücks For Heaven's Sake - eine eigens an die Möglichkeiten der kleinen Hagener Kompanie angepasste Fassung geschaffen. Sie bildet das Herzstück des Hagener Dreiteilers mit Beispielen der vielfältigen Tanztechniken und -themen im 21. Jahrhundert.
2001 in Den Haag uraufgeführt, fokussiert der doppeldeutige Titel Ephemeron (paradiesisches Glück - duale Abfallsortierung) auf die kurze Episode am Beginn der Menschheitsgeschichte. Im ersten Teil bewegt sich ein stilisierter Urvölker- „Stamm“ im rituellen Stampftanz zu afrikanischer Trommelmusik. Die einheitlich fleischfarben bekleidete Gruppe ist mit beleuchteten Trommeln vor der Scham ausgestattet. Im zweiten Teil symbolisieren in einem Duett die zierliche Serena Landriel und der dunkelhäutige Hüne Bobby Briscoe als Adam und Eva die gescheiterte Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Das letzte Wort ist, laut des Gedichts von Galini, „Alone".
So aktuell Galilis Postulat zweifellos ist - so wenig innovativ wirken seine Choreografie und Körpersprache im Kontext mit den beiden anderen, später entstandenen Stücken. Leider ist auch das auf Englisch per Lautsprecher „genuschelte" Gedicht nicht zu verstehen, aber immerhin zwei-sprachig im wieder einmal vorzüglichen Programmheft abgedruckt.
Mit Uneven des Spaniers Cayetano Soto von 2010 kommt eins der vielen Beispiele „reinen“ zeitgenössischen Tanzes auf die kleine Hagener Bühne zum von Ballettdirektor Alfonso Palencia deklarierten Thema dieses Abends. Wie der unerreichte Meister abstrakten Tanzes, Hans van Manen, geometrische Muster aus raffinierten Körperbewegungen in Symbole menschlicher Beziehungen ummünzt, stellt der Katalane Soto in seinem hochästhetischen, eleganten Kammerballett Mann und Frau, Mann mit Mann oder Frau mit Frau in virtuosen Duetten in einen schwarz-weißen Raum (wie die Kostüme) mit einem hoch aufgerichteten weißen Dreieck inmitten eines neutral dunkeln Raums und einem nach unten tropfenden Dreieck an der Rampe. Ein „Scheinwerferbaum" und einzelne Spots am diffus nebeligen Himmel sorgen für abwechslungsreiche Beleuchtung. Das ist aktuelle spartenübergreifende Kunst pur und zeitgenössische Tanztechnik vom Feinsten. So wird der nur viertelstündige Auftakt zum Glanzpunkt dieses Abends. Nur die Übersteuerung der Lautsprecheranlage mit Ausschnitten aus David Langs sensibler, kammermusikalischer Komposition World to Come lenkt vom optischen Erlebnis und der Intimität ab.
Ganz ins Heute deutscher Bühnenkunst zwischen Musical- und Tanz-Entertainment führt Alfonso Palencia schließlich mit seiner neuen Choreografie Movinos die Zuschauer. Wie sein Vorgänger als Ballettdirektor, Ricardo Fernando, fasst er sozusagen das Vorhergehende mit tanztechnischen Zitaten zusammen und ergänzt es durch aktuelle Show-Biz-Akzente. Grandiose Licht- und Leuchtelemente unterstreichen das Ambiente. Palencias mutige Botschaft „We move on“ (Wir entwickeln uns weiter) ist - angesichts der langjährigen Bedrohung der Sparte Tanz an deutschen Theatern und am theaterhagen speziell - zu Recht das Motto des ganzen Abends.