Tanz um Mythen, Liebe und Fantasie
Tanz für eine Neue Welt
Das Publikum, unruhig, mit sich selbst beschäftigt, bemerkt sie erst allmählich, die zwei Figuren in unscheinbarem, hautengem Grau, die auf der leeren, abgedunkelten Bühne nach Orientierung suchen: einer scheint angekommen zu sein, füllt die Leere um sich mit ausladenden, raumgreifenden Bewegungen, windet sich, dehnt und reckt den Körper; der andere verharrt noch im Hintergrund, ruhig tastend bewegt er sich nach vorn. Doch dann - zu den ersten kraftvollen Klavierakkorden - finden sie einander, stürzen ineinander, fangen einander auf, geben einander Halt, umgreifen den Raum, nehmen ihn mit eleganten Bewegungen und mutigen Sprüngen in Besitz. Vertrauen, Nähe und Verlässlichkeit werden geboren.
Der Bühnenraum wird heller, in einem Halbrund von raumhohen, trüben Spiegelwänden wird oben das Saallicht, unten ein grelles Lichtband am Bühnenrand leicht verzerrt reflektiert. Dazwischen bewegen sich in unbestimmter Vervielfachung die Tänzer: Geheimnisvolle Wesen scheinen da im Hintergrund zu agieren. Und ganz langsam senkt sich über diese irreale Bühnenwelt ein absonderlicher Himmel: eine riesige Wolke aus flauschigem Weiß, gespickt mit Zweigen und Blüten, bewegt sich kaum merklich und sendet ab und an Blitzlichter auf das Geschehen am Boden. (Bühne: faszinierend Shizuka Hariu)
Dann belebt sich die Szene. Anonyme Wesen, menschenähnlich, scheinbar nackt, geschlechtslos, Haare und Geschlecht hautfarben bedeckt, tanzen herein, füllen den Raum mit wellenförmigen Bewegungen. Von den Spiegeln vielfach reflektiert und durch die Krümmung bizarr verzerrt und verfremdet, könnten sie - am Anfang der Neuschöpfung - die Wellen des Meeres simulieren. Wesen in blau-silbern- glitzernder Körperbedeckung mischen sich unter sandfarbene Trainingsanzüge, schlängeln und winden sich geschmeidig, schweben gleichsam, wechseln von neoklassischen Tanzkombinationen zu archaischen Gesten, von kunstvollen Soli mit Spitzentanz und Pirouetten zu athletischen Gruppenfiguren. Und das alles vervielfacht sich wiederum in unscharfen Spiegelungen, schafft Verwirrung und drängt ins Irreale. Das Ende dann führt uns zurück zu den Figuren der geheimnisvollen Eingangsszene, diesmal getanzt von den berührenden Tänzerinnen Yuko Kato und Cassie Martin. Drei Schöpfungstage gehen mit Bildern des Vertrauens und ruhigen Miteinanders zu schweren Piano-Akkorden zu Ende.
Der 27-jährige kanadische Choreograph Robert Binet schafft in seiner ersten Arbeit an der Oper am Rhein faszinierende Bilder eines zeitlosen Schöpfungsmythos‘ für seine New World zur eigenwilligen Musik des amerikanischen Komponisten Nico Muhly, die zwischen minimalistisch surrenden Klangflächen, flirrenden Streichersoli und farbenreicher, traditioneller Chormusik changiert .
In wunderbarer Übereinstimmung grandiosen Tanzes mit kapriziöser Musik und irreal irisierender Bühne wurde aus Körpern, Klängen und Kulisse ein überzeugendes, begeisterndes Tanztheater.
Die kleinen Dämonen in uns
Nach Mythos und Sozialethik bei Robert Binet nimmt sich die zweite Ballett-Uraufführung des Abends eher brav und alltäglich aus. Die slowakische Choreographin Natalia Horecna will die Menschen „mit den Augen des Herzens sehen.“ Sie lässt ein Liebespaar (Ann-Kathrin Adam in feuerrotem Chiffonkleid und Marcos Menha) seine Zuneigung in einem charmanten, klassischen Liebes- Pas-de- Deux ertanzen. Doch die Bösen in schwarzem Dress lauern schon, allen voran das geschmeidige Teufelchen mit Satanshörnchen (Eric White). Zu balinesischem Schlagzeuggewitter spult ein vorhersehbares, witziges Verwirrspiel ab. Doch dann wechseln die bravourösen Düsseldorfer Symphoniker von U nach E, pardon, von Claude Vivier und Peter Breiner zu Bachs Cembalokonzert Nr.3 und das Happy-End ist angesagt. Selbst das Teufelchen ist bekehrt, frei nach der mephistophelischen Devise: Das Böse tun, um Gutes zu schaffen. Es waren ja nur die kleinen Dämonen, die bösen Gedanken, im Kopf des Liebespaares selbst, die da für Irritation sorgten.
Das alles auf pechschwarzer Bühne unter einem riesigen stahlgrauen, leicht aus der Horizontale gekippten Ring, der ein überdimensionales Dreieck umgibt. Wenn die Spitze des Dreiecks während der Konfliktszenen nach unten gedreht wird, soll das wohl Aggression symbolisieren. Eine coole, missglückte Simpel-Symbolik, die keinerlei Bezug zum Geschehen herstellt. (Bühne Darko Petrovic)
Eine gut gemeinte, exzellent getanzte Komposition - ohne tiefere Bedeutung.
Ein Bilderbogen
Fantasies, schlicht Fantasien, nennt Remus Sucheana, Ballettdirektor des großen Chef-Choreographen Martin Schläpfer an der Oper am Rhein, seine dritte eigene Choreographie.
Auf der wiederum schwarzen Bühne diesmal ein riesiger weißer Wegweiser mit unbeschrifteten Hinweisschildern, der in seiner Kargheit – auch wenn er sich im Laufe des Stückes langsam dreht – nicht eben die Fantasie anregt (Bühne und Kostüme Mylla Ek).
Rechts und links zwei Menschenhaufen, aus denen sich langsam Gestalten lösen, Tänzerinnen und Tänzer in opulenten Kostümen von folkloristischer oder gar sakraler Aufwendigkeit. Die Bühne füllt sich. Bis zu 34 Künstler - mal in kleineren Gruppen, mal raumfüllend alle zugleich - schaffen üppige, kraftvolle und phantasievolle Formationen. Sucheana durchspielt das breitgefächerte Tanzvokabular seiner Kompanie von bedächtig sakralen Ritualen bis zu starken athletischen Figuren mit Stürzen und Sprüngen. Das alles ist wunderbar anzuschaun, gleichsam ins Bild gesetzte Musik, bildmächtig verkörperlichte Klänge der 6. Symphonie von Bohuslav Martinus, einem Werk aus den 1950er Jahren, das virtuos schillernd - wohl ein wenig von Berlioz‘ Hexensabbat inspiriert - mit allen möglichen Klangfarben spielt.
Doch hinter und unter diesem Bilderbogen gibt es keine zweite Ebene, kein Konzept, das Fragen aufwirft, nicht einmal eine Geschichte. Selbstverliebt stehen die Bilder nebeneinander.
Das Premieren-Publikum dankte mit freundlichem Applaus und war doch ein wenig enttäuscht, dass Martin Schläpfer, der designierte Ballett-Chef der Wiener Staatsoper, zu seinem 37sten Ballettabend - zu Beginn seiner zehnten Chef-Saison in Düsseldorf - erstmals (!) nicht erschien.