Tanztheater über eine Obdachlose und eine sumerische Kriegsgöttin
Elli und Inanna lautet der Titel des neuesten Tanztheaterstücks des internationalen Kulturvereins Kabawil. 13 Frauen im Alter zwischen 24 und 70 Jahren begeisterten das Publikum mit 45-minütigem Tanztheater sowie mit ganz wenigen Worten und Sätzen um das Nicht-Sichtbar-Sein von Frauen in unserer Gesellschaft.
Der Name und der Inhalt des Stücks erinnern an die auf der Straße in der NRW-Landeshauptstadt lebende und vor zwei Jahren im Winter dort unbemerkt auch erfrorene junge Frau mit dem Vornamen „Elli“ und an ihr Schicksal. Ebenso erinnert die Inszenierung der Choreografinnen Sonia Mota und Louisa Rachedi an die im dritten vorchristlichen Jahrtausend im alten Mesopotamien hochverehrte Liebes- und Kriegsgöttin Inanna, eine der großen sumerischen Göttinnen.
An der rund achtmonatigen Entwicklung des Tanztheaterstücks waren auch Migrantinnen aus Brasilien, Korea oder dem Iran beteiligt. Dariya Maminova und Thomas Klein sind für die Musik verantwortlich und die künstlerische Leitung hat Petra Kron. Vor Beginn der Inszenierung flaniert das Publikum vorbei an den in den Vorräumen und im Auftrittssaal scheinbar verloren dastehenden Tänzerinnen, die in sich versunken sind und nach und nach die Tanzfläche betreten.
Dort drehen sie sich mal mit dem Gesicht, mal mit dem Rücken zum Publikum, die Hände scheinen etwas zu formen, sich zu streicheln, etwas festhalten zu wollen. Die Tänzerinnen sind mal in der Rolle der obdachlosen jungen Frau, mal in der der Göttin. Manchmal sitzen, hocken, legen und wälzen sich einige von ihnen auf dem Boden, andere rennen und hetzen hektisch an ihnen vorbei - die Passanten auf der Straße, die sie entweder gar nicht beachten oder aber ihnen missbilligende Blicke zu werfen.
In einer anderen Szene scheinen die Frauen auf ihre Beine und Arme zu schreiben. Ob damit Tagebuchaufzeichnungen, Drogengebrauch oder Wunschzettel angedeutet werden, bleibt offen und der Phantasie der Zuschauer überlassen. Das Stück funktioniert. Aus dem Off kommen einzelne Worte wie „alt“, „überflüssig“, „schwach“, „krank“, „unbeachtet“ oder auch „intelligent“. Eine der Tänzerinnen sagt in einer bewegenden Szene: „Jede Frau verdient 'nen Blick“.
Auch Musik wird eingespielt. Manchmal sanfte, manchmal stakkatohafte, donnernde Töne - je nach der dargestellten Gemütslage der Tänzerinnen, die manchmal auch in kleinen Gruppen wenige Sekunden ihre Einsamkeit und ihr Nicht-Sichtbar-Sein zu überwinden scheinen. Ganz stark, selbstbewusst und angriffslustig dann die Szenen zur Kriegs- und Liebesgöttin Inanna, die nach den Worten von Petra Kron „keine Kostverächterin“ gewesen sein und ihre Weiblichkeit in vollen Zügen genossen und eingesetzt haben soll.
Entsprechend lustbetont und erotisch sind die Bewegungen der 13 Tänzerinnen. Sanft drehen sie sich umeinander, wiegen mit den Hüften, öffnen ihre Beine, werfen die Köpfe zurück und tanzen wirbelnd, stampfend, fordernd, ja wütend und manchmal drohend über die Tanzfläche. Der Applaus am Ende der Vorstellung war lang anhaltend, ehrlich und verdient für alle Akteurinnen auf der Bühne und das Team der Künstlerinnen und Künstler, die diesen sehenswerten Abend mit den Frauen gemeinsam erarbeitet und einstudiert haben.
Der gemeinnützige Verein Kabawil wurde 2003 gegründet und bindet in seiner kulturellen Arbeit vor Ort ein internationales Team von Künstlern, Pädagogen und Cultural Managern ein. Kabawil hat seit der Gründung nach eigenen Angaben in Kooperation mit verschiedenen Institutionen und Trägern vielschichtige Bühnenproduktionen entwickelt, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Ob und wann Elli und Inanna demnächst wieder zu sehen sind, stand am Premierenabend noch nicht fest.
Zu den Förderern des Vereins zählen unter anderem die LAG Soziokultur NRW, mehrere Kulturstiftungen, die Aktion Mensch sowie mehrere Kultureinrichtungen in Düsseldorf wie etwa das Forum Freies Theater, das Junge Schauspielhaus, die Tonhalle oder der Kunstpalast.