Übrigens …

b.39 im Duesseldorf Oper

Einfach: hochkarätig !

Hans van Manen, der 86-jährige Großmeister des Kammerballetts, hat es sich nicht nehmen lassen, seine bislang letzte Choreografie für Het Nationale Ballet Amsterdam, Dances with Harp von 2014, für das Ballett am Rhein passgenau abzuändern, um zu beweisen: Ballett ist heute in jeder Hinsicht global". Die offensichtlichste Veränderung signalisiert der neue Titel: Dances with Piano. Bei der deutschen Erstaufführung zum Auftakt des Programms b.39 erweist sich die Pianistin Schaghajegh Nosrati als bewundernswert vielseitige „Tastenlöwin" mit ihrem technisch souveränen Spiel von Kostproben aus dem Werk so unterschiedlicher Komponisten wie dem Holländer argentinischer Herkunft Carlos Micháns, dem französisch-stämmigen Spanier Frederic Mompou, dem Brasilianer Heitor Villa-Lobos und van Manens musikalischem Lieblingspartner Johann Sebastian Bach. Meilen liegen zwischen deren, teilweise in Amsterdam für Harfe und nun für Klavier bearbeiteten Werken - Welten zwischen den Klangfarben und der malerischen Optik einer Harfe und einem Klavier, das TänzerInnen am ehesten mit der nüchternen Atmosphäre einer Probe im Ballettsaal assoziieren.

Ganz gewiss auch deshalb startet van Manens Ballett für drei Paare mit einer Serie sehr braver Posen: die Herren stützen die Damen. Die heben synchron ein Bein und lassen es auf Taillenhöhe so weit wie möglich nach rückwärts zum Partner hin kreisen. Aber danach lockt der Choreograf aus seinen lebenden „Instrumenten" in kurzen Duetten alles an neo-klassischem Können, Geschmeidigkeit und Eleganz heraus, was in ihnen steckt. Doris Becker faszinierte mich am meisten.

Zwischendrin dürfen die drei Männer auch mal was ganz eigenes zeigen. Zu zwei Variationen aus Bachs oft choreografierten Goldberg-Variationen lassen sie stolz ihre Muskeln spielen, stampfen und springen wie ungebändigte Teenager auf dem Sportplatz - was für ein Vergnügen auch für die Zuschauer! Welch hohe Körperkunst offenbaren diese so präzise getanzten Episoden. Erinnerungen an van Manens geniales Solo auf Bachs bekannteste Solo-Violinpartita für drei (!) Tänzer werden wach.

Martin Schläpfer spricht eine ähnliche choreografische Sprache wie sein Vorbild van Manen, der mit dem Solo Alltag kürzlich noch seine Verbundenheit mit dem jüngeren Schweizer Kollegen dokumentierte. Aber Schläpfer liebt alles eine Nummer größer, bunter, konkreter. Seine neue Kreation 44 Duos auf sehr kurze Volksliedmotive von Bela Bartok für zwei Violinen (sehr fein: Dragos Manza und Catherine Ribes) erinnern in ihrer bukolischen Bodenständigkeit an Schläpfers "Appenzeller Tänze". Da sind Tradition und Jetzt, Realität und Kunst, Melancholie und Witz eng verknüpft. Schläpfer schöpft - wie unter den großen TanzschöpferInnen unserer Zeit es wohl nur Pina Bausch vermochte - aus der Vielfalt von Herkunft, Prägung, Temperament und Aura seiner TänzerInnen. Fraglich bleibt, warum er keine Auswahl aus der Überzahl der Duette wählte und warum er ausgerechnet den rhythmisch besonders markanten Hinke-Tanz nur musikalisch einflocht in die eigenwillig durcheinander gewürfelte Serie.

Allgemein menschliche Präferenzen und Rivalitäten wechseln mit gesellschaftlichen Konventionen (köstlich wie der Philippino Sonny Locsin seine beiden Frauen wie ein Gutsherr von anno dazumal unterhakt, um zu Tisch" zu schreiten - die eifersüchtig lamentierende So-Yeon Kim und die mit ihren erotischen Reizen kokettierende Brasilianerin Marlúcia do Amaral!) und volkstümlichen Ritualen wie das bunte Gruppenfinale als Fastnachts-Mummenschanz. Sie zieren und amüsieren sich alle, rebellieren, marschieren - und tanzen, dass einem beim Zuschauen die Sinne schwinden. Das rasante Solo von Yuko Kato in leuchtend rotem Kampfanzug war so anders, aber womöglich noch eindrucksvoller als Sonny Locsins Entrée als wäre er der größte Aeta-Häuptling.

Zwischen diesen beiden Balletten steht die Uraufführung von Atmosphères des Franzosen Martin Chaix, der bis 2015 zur Kompanie von Schläpfer gehörte und sich 2013 mit We were right here dem rheinischen Publikum als Choreograf vorstellte. In seiner neuen Kreation auf eine eingespielte Folge aus Musik von Penderecki, Beethoven und Ligeti verwendet Chaix für die Gestaltung des Rückprospekts das eigene Foto eines lang ausgestreckt liegenden, menschlichen Akts, nur diffus auszumachen hinter dichten Nebelschwaden. Ein schmaler Lichtstrahl spaltet die untere Hälfte der Wand später, verschwindet unmerklich, erscheint wieder. Die Atmosphäre ist von hoher Ästhetik und nächtlich geheimnisvoller Aura geprägt. Edel wirken die glitzernden dunklen Trikots - wie schönstes, exotisches Vogelgefieder hauchzarte Plisseeschals und wehende lange Hosen (Kostüme: Aleksandar Nosphal). Lautes Trippeln der Damen auf Spitzenschuhen und resolutes Hämmern damit auf den Boden schüchtern die Herren geradezu ein. Vorsichtig kommt es zu Annäherungen. Rätselhaft bleibt das dreiteilige, halbstündige Ballett, aber feinsinnig vornehm und originell in seiner auf neoklassischen Formen und Formationen basierenden Bewegungssprache. Sehr gereift ist der Choreograf Martin Chaix. Köstliche musikalische Kostproben und geballte Tanzlust bietet b.39