Übrigens …

Geister - Fragment XL im Köln, Schauspiel

Übergang ins Geisterreich

Die Bühne besteht aus einem White Cube. Strahlend weiß ist er, blendend weiß im wahrsten Sinne des Wortes: Viele Zuschauer beginnen zu blinzeln; ihre Augen wehren sich gegen die Lichtüberflutung. Weiß ist auch die sparsame Möblierung des Raumes – edel, leer und unpraktisch wie auf den Abbildungen in vielen Architekturzeitschriften oder Modemagazinen. Aaron S. Davis, Alejandro Russo, Eray Gülay, Simon Hartmann und Tyshea Suggs scheinen sich dennoch wohlzufühlen: Verteilt über die ganze Breite des Kubus sitzen sie am – natürlich weißen - Tisch, fläzen sich auf dem – natürlich weißen - Sofa oder dem – natürlich weißen - Fußboden oder stehen neben einem der – ätsch: schwarzen! – Flachbildschirme, die über den Raum verteilt sind. „Do you think that we can create something out of nothing?“, fragen sie. „Do you believe in magic?“ Oder: „Is God digital?“

Unendlich lange geht das so weiter. Immer wieder sagt einer mal: „I need protection.“ Geister heißt die jüngste Serie von Arbeiten des bildmächtigen Choreografen Ben J. Riepe, die von Spielstätte zu Spielstätte weiterentwickelt und angepasst wird und mit der er „das Verhältnis von Tanz, bildender Kunst, Musik und Digitalität als künstlerische Materialien untersuchen” möchte. „When we die, is there transition?“, fragt Aaron Samuel Davis und nähert sich mit dieser Frage immerhin schon einmal der thematischen Überschrift des Abends: Werden wir nach dem Tode zu Geistern, und wenn ja, warum nicht? Fragen über Fragen: Fast eine Stunde lang, immer im gleichen Tonfall. Von fern erinnert das an Abende von Forced Entertainment, ist aber irgendwie esoterischer. Außerdem fehlt der subversive Humor, der die Abende der Sheffielder Kult-Gruppe auszeichnet, meist drehen sich die Fragen um das Übersinnliche, das Unklare, Ungewisse, aber Überraschungsmomente gibt es kaum.

So wird es denn irgendwann langweilig, obwohl – anders als bei Forced Entertainment – fast unmerklich Bewegung ins Spiel kommt. Ganz langsam verändern die Performer ihre Haltung, und eh man sich versieht (vor allem: bevor man’s richtig gemerkt hat), steht der Mann vom hinteren Fernseher plötzlich vorn an dem mit transparenter Plastik vom Zuschauer getrennten Bühnenrand. Und ebenso unmerklich hat auch das Licht gewechselt: Nach und nach wird die Szenerie in andere, zunächst noch pastellartige Farben getaucht. „Where do you escape to when you feel insecure?“, fragt einer, und unter die harmonischen Klänge von Misagh Azimis elektronischem Soundtrack mischen sich ebenfalls elektronische Urwaldgeräusche: ein Zirpen, ein Quaken, ein Rascheln. Fast eine Stunde ist vorüber, als die esoterische Szene sich auflöst in gemeinsamem Gesang: „I was looking back to see / if you were looking back to see / if I was looking back to see / you were looking back at me.“ Immer wieder – die Performer sind nun zusammengerückt und singen diesen Text immer wieder, in wechselndem Rhythmus, als Gospel, kurz auch mal im Kanon, mit wechselnden Stimmern und wechselnden Tanzstilen. Die Performer haben Spaß dabei. Manche Zuschauer auch, aber irgendwie ist das, wie Dieter Hallervorden zu Beginn seiner Karriere zu sagen pflegte, „ein gespielter Witz“.

Doch dann geht‘ endlich los: Die Performer formieren sich zu einem vielbeinigen, zuckenden Organismus, driften wieder auseinander, zappeln ekstatisch und mit konvulsivischen Bewegungen am Boden, tanzen mit den Stühlen. Erst langsam, dann stroboskopartig beginnt das Licht zu flackern, die Möbel bewegen sich, erste Klamotten fliegen vom Leib. Is it this that we wanted? To look into a house that is haunted by the ghosts of you and me? Ja: Denn endlich folgen die ersten typischen Riepe-Bilder. Weißer Nebel macht die Performer vorübergehend unsichtbar, und wenn er sich lichtet, gibt er den Blick auf fünf Leichen frei.
Die schnell wieder aufstehen – dies ist wohl der Moment der
transition gewesen: „Times are so shaky, and we are so disconnected“, spricht Aaron Davis sein Publikum an und begrüßt uns in seinem Wohnzimmer, in dem er uns noch viel vorzuführen habe – „so stay tuned!“ In dieser Geisterwelt seien Klarheit und Genauigkeit irrelevant, erfahren wir; hier sollen wir an Magie und Motion Pictures glauben. In hellen Ganzkörperanzügen schleichen die im gleichfarbigen Nebel kaum zu erkennenden Performer durch den Raum; jetzt erinnern die Bilder an Science Fiction Filme, und unwillkürlich fragen wir uns, ob das, was Riepes Tanzgesellen da vorführen, eher eine Utopie oder eine Dystopie ist. Es ist wohl nichts davon. In dieser jenseitigen Welt sollen wir unserem Unterbewusstsein begegnen, unseren surrealen Träumen, unseren Ängsten und Begierden, unserer Digitalität. Riepe sagt ausdrücklich, dass es sich um ein Experiment handelt, um einen Versuch, verschiedene Zusammenhänge zwischen dem Körper und dem Geist, dem Unter- oder Unbewussten zu erforschen. Ein schönes Liebespaar sitzt eng umschlungen, in blauem Licht und Nebelschwaden nicht mehr als Individuen identifizierbar, auf dem Sofa, und Magie kommt ins Spiel, wenn kaum mehr als die in rosafarbene Handschuhe gesteckten Hände der Performer zu sehen sind.

Zum Abschluss werden die Zuschauer auf die Bühne gebeten. Der zusätzliche Erkenntniswert bleibt gering. „The earth is a square“, erfahren wir immerhin. Dann gibt es noch ein paar esoterische Texte und Geistergeschichten aus dem Off. Ben J. Riepe hat zum Schluss doch noch ein paar schöne Bilder ausgepackt. Zu gucken gibt es bei diesem wunderbaren Choreografen immer was. Aber sein Versuch scheint noch nicht abgeschlossen. „Geister – Fragment XL“ ist – bislang jedenfalls - nicht seine stärkste Arbeit – und im ersten Teil zweifellos zu viel XL.