Übrigens …

Spirit Child im Köln

Geister-Welt in kultureller Dämmerung

Dunkelheit. Minutenlang. Es ist die Einstimmung auf eine Tanz-Choreografie, die fremd wirkt, fern scheint vom modernen Tanz europäischer Prägung. „Spirit Child“, also Geist-Kind, nennt sich der Abend, an dem der nigerianische Choreograf und Tänzer Qudus Onikeku, begleitet von drei Solo-Musikern, sich in eine Welt der Geister einfühlt.
Es ist schwer, schier unmöglich, den theoretischen Gedankengängen zu folgen, die dem Stück vorauseilen.Onikeku hat sich demnach von dem mit dem Booker-Preis 1991 ausgezeichneten Roman Die hungrige Straße von Ben Okri inspirieren lassen. Der schickt den Jungen Azaro aus der Geisterwelt in die des Menschen. Nun zum Wanderer zwischen zwei Welten geboren, ist er Grenzgänger.
Zurück zur Choreografie, die dem „africologne“-Festival ein weiteres Mal eine ganz persönliche, eine sehr afrikanische Note hinzufügte. Nach minutenlanger Dunkelheit schält sich aus dem Dämmerzustand, kaum hörbar mit Klängen und Tönen unterlegt, eine männliche Figur heraus. Wie eine Beschwörung klingt der monotone, kultisch anmutende Text, den er von einer Papierrolle am Boden abliest und hören lässt. Fünfzehn Minuten vergehen - und die Langsamkeit triumphiert. Aus dem immer noch herrschenden Dämmerlicht schält sich schließlich erst einer, dann ein zweiter, schließlich ein dritter Musiker heraus. Ein langes schwarzes Gewand trägt der Gitarrist, ein weißes der Zweite, ein orangegelbes ein Dritter.
Mit ihnen fällt Onikeku, bunt wie ein Naturbursche neben den edlen Erscheinungen seiner Musiker, in einen zitternden, ruckenden, verqueren Tanz. Er wirbelt um sich selbst, zuckt wie vom Blitz getroffen – und fängt, korrespondierend mit den Musikern, zu singen an. Beschwörend klingt diese Musik, die in immergleichen und sich wiederholenden Gesangs- und Musikschleifen abläuft.
Noch immer ist die Welt im Dämmerzustand, als die Musik abbricht, der Sänger-Tänzer schweigt - und sechs Holzständer um sich herum aufbaut. Wenn er einen davon auf seine Schultern legt, erinnern die Stützen an ein Kreuz. Dazu lange Minuten des Schweigens. Nur aus dem Off dringen geheimnisvolle Stimmen. Wenn dann, völlig überraschend, Vogelgezwitscher hörbar wird, ist die Überraschung groß: Die Natur bricht sich Bahn. Heraus aus dem geheimnisvoll-dunklen Untergrund des Stücks.
Doch es dauert nicht lange und Onikeku, der Tänzer, verliert sich erneut in einem Rausch rituell wirkender Körperdrehungen, Kämpfe und Stürze. Der Himmel scheint weit entfernt, die Erde, auf die der Tänzer stürzt, die Realität. Wie ein verletztes Tier versucht sich der Tänzer vom Boden zu befreien, sich aufzurichten, verfängt sich dabei in dicke Taue und Ketten, die er schließlich von sich schmeißt. Zuckungen durchziehen seinen Körper. Schließlich, erlöst von den Ketten, singt er mit den Musikern - und wirkt befreit.
Es sind 70 Minuten voller Fragen, deren Antworten sich dem Europäer kaum erschließen wollen. Aber der Tänzer und Choreograf aus Nigeria lässt ahnen, wie breit der Fächer ist, in dem sich Kunst zeigt. Ein Abend, der sich nicht leicht erschließt. Aber er zeigt Menschen in der Hoffnung, dass Kunst die Welt ästhetischer erfahren lässt.