Eine Feier des Tanzes
„Gert Weigelt hat sein Leben dem Tanz gewidmet" heißt es lapidar zur Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2019 an den Rheinländer. Er wurde nach seiner internationalen Karriere als neo-klassischer Tänzer und einem Studium der Künstlerischen Fotografie in Köln zum renommiertesten Tanzfotografen Deutschlands, wenn nicht Europas oder weltweit. Denn seine Bilder seien nicht nur „Dokumente des Tanzes, sondern eine eigene Kunst - eine Feier des Tanzes ... Im Moment des Bildes scheinen Bühne, der Fotograf und die Kamera eins geworden, um die Seele des Tanzes für einen Moment festzuhalten".
Im Essener Aalto-Theater wurde dem 76-Jährigen im Rahmen der traditionellen Gala gestern die Urkunde überreicht. „Für herausragende künstlerische Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz" ehrte der erstmals federführende Deutsche Dachverband Tanz außerdem die in Berlin tätige „Körperforscherin" Isabelle Schad und die international mit ihrem Projekt Mobile Dance arbeitende Tanz- und Videokünstlerin Jo Parkes.
Erstmals verlieh der erst kürzlich formierte Deutsche Dachverband Tanz drei Ehrungen. Er dotiert den Hauptpreis mit 20 000 € und die zwei Anerkennungspreise mit jeweils 5000 €. Das Werk der beiden innovativen Bewegungs-Künstlerinnen würdigte bereits am Vortag ein Tanz-Abend auf pact-Zollverein. Videoinstallationen von Parkes auf Monitoren und Kopfhörer in den Foyers des Aalto-Theaters verwirrten leider vor allem wegen technischer Pannen, zeigten aber deutlich genug ihr Anliegen, Sehnsucht einfacher Menschen nach tänzerischer Posen als Freiraum vom Alltag zu verstehen. Schads Ausschnitt aus Collective Jumps mit Laurent Goldring zielt in dieselbe Richtung und unterstreicht damit, wie richtig und wichtig die Einbeziehung von Laien in Tanz-Produktionen ist: Sie fordert mit verfremdetem Folkloretanz zum Nachdenken über Annäherung an „andere" auf.
Weigelt - Realist und Künstler
1943 im belgischen Raeren bei Aachen geboren, entwickelte sich Weigelt schon als Schüler zum ebenso nüchtern experimentierenden wie passionierten Kunstturner und Fotografen. Annähernd fünfundzwanzig Foto-Ausstellungen hat der Rheinländer aus Abertausenden eigener Bilder thematisch sorgfältig gruppiert und zu ausstellungs-reifen Komponenten komponiert. Die Verbindung zur Bühne hielt er als Produktionsfotograf. Für seine künstlerische Sicht bat er Tänzer und Tänzerinnen in sein Studio für exklusive Detail-Aufnahmen. Natürlich fokussierte sein Blick stets auf große Talente in Choreografie und Tanz, geschult und geschärft an den eigenen Erfahrungen als Tänzer in europäischen Metropolen.
Auf der großen Bühne des Aalto-Theaters bot das Bayerische Junior-Ballett München bei der Gala für Weigelt Xin Peng Wangs Im Wald, Teile von Isabelle Schads Collective Jumps, Martin Schläpfers Solo für Marlúcia do Amarals Ramifications, Hans van Manens von Igone de Jongh und Jozef Varga hinreißend getanzte Trois Gnossiennes, Lutz Försters Gebärdensprachen-Solo The Man I Love aus Pina Bauschs Nelken als persönliche Gratulation an Gert Weigelt. Das Staatsballett Berlin beeindruckte mit zwei gegensätzlichen, hochvirtuosen Gruppen-Choreografien, George Balanchines Rubies aus dem Ballett Jewels und dem enervierend sportiven Marathon Half Life von Sharon Eyal und Gai Behar auf die motorische Klangkulisse von Ori Lichtik - wo Tanzensemble und Publikum darum ringen: wer hält länger durch? Die Kenner im Parkett spendeten schließlich den Könnern auf der Bühne minutenlange, laute Ovationen.
Diese Preisverleihung versuchte den Spagat von Tanz als menschliche Bewegung von Körper und Seele durch berückende Bildästhetik und verfremdete Gesten in vertrauter Gemeinschaft oder im heimatlichen Ambiente als gesellschaftskritischer Ansatz. Die einst vorbildlich reibungslose Organisation der Gala funktioniert so nicht mehr, soll die Signalwirkung des Deutschen Tanzpreises von Tanz heute bei der Verleihung als Gala-Event erhalten bleiben.