Casa Azul im Theater Hagen

"Viva da Vida!"

Winzig wie der pfiffige David neben dem starken Goliath wirkte sie neben dem Hünen. Quirlig gut gelaunt animierte Hagens neue Ballettchefin Marguerite Donlon die Premierenbesucher ihrer Choreografie Casa Azul neben dem zerknirscht verlegenen Intendanten Francis Hüsers zu einem Gläschen Sekt. Denn es galt, eine unfreiwillige Pause zu überbrücken, um die wegen Überforderung laut knurrende Belüftungsanlage zu besänftigen. Mehr Symbolik zum Auftakt einer Saison geht wohl kaum. Zumal, nachdem Hüsers' mutiges Programm für das marode, traditionsreiche Theater in der krisengeschüttelten kleinen Industriestadt gerade in der Kritikerumfrage der Deutschen Bühne als „Beste Bühne abseits der großen Zentren“ geadelt worden war. Zwar können die vorbildlich engagierten Ballettfreunde eine Tanz-Premiere finanziell und ideell unterstützen und Top-Theaterkünstler und -macher jahrelang ihre Theaterleidenschaft mehr als idealistisch zur Freude der teilweise von weither anreisenden Besucher des weltweit führenden Theaterlandes Deutschland demonstrieren. Aber nun sind endlich Stadt, Land und betuchte Sponsoren aufgerufen, am Geburtsort der Folkwang-Idee dem Theater unter die Arme zu greifen.

Donlons Hommage auf Frida Kahlo wirkt zehn Jahre nach der Uraufführung in Saarbrücken viel origineller, berührt mich mehr als damals, als von Innsbruck bis Mannheim, von Johann Kresnik bis Helen Schneider (in dem Bonner Musical) die Leidensgeschichte der Mexikanerin erzählten, die als 18-Jährige bei einem grauseligen Verkehrsunfall schwerst verletzt worden war und bis zu ihrem Tod mit 47 Jahren (1954) nur unter größten physischen Qualen ihre Ideale als Kommunistin und Künstlerin leben konnte.

Donlon hat sich für ihre hinreißenden Tanz-Bilder von den vielen Gesichtern und Facetten Kahlos inspirieren lassen, zeichnet aber ausdrücklich nicht ihr Leben nach. Damit mutet sie den Zuschauern mitunter viel zu.

Manche Szenen spielen in ihrem mit bunten Nippes dekorierten Haus vor dem Toilettentisch mit den großen Spiegeln, auf denen sie sich selbst malte und ihr berühmtes Credo „Viva la Vida!“ schrieb, von ihrem viel älteren, zweiten Ehemann, dem Künstler Diego Rivera, besungen, der sich selbst auf der Gitarre begleitet (Luis Gonzalez). Immer wieder flüchtet sie sich in ihre Fantasiewelt - in die winzige kornblumen-blaue Casa Azul, die Bühnenbildner Ingo Bracke vorn an die Rampe gebaut hat.

Mexikanische Musik, gesungen und gespielt von Luis Gonzalez, Amber Neumann und dem Trommler Alexandre Démont, und rassige Folklore-Tänze des Ensembles unterstreichen effektvoll das authentische Flair. Kahlos Kunst und vielschichtige Persönlichkeit tanzen in den Kostümen von Markus Maas die drei Fridas Noemi Emanuela Martone, Filipa Amorim und Sara Peña. Ein unterhaltsames Ballett mit Tiefgang ist das. Dass nach der Zwangspause die Fortsetzung mit der Wiederholung einer furiosen Ensembleszene begann, zeigt, wie gut Donlon versteht, dass ihr Publikum unterhalten werden will. Aus dem Parkett tönte begeisterter Szenenapplaus und zum Schluss gab's - wie in Hagen üblich - demonstrativ stehende Ovationen.