Abschiedsstimmung beim Ballett am Rhein
Martin Schläpfer bringt die Diskussion über das Für und Wider von Ballett heute mit der Uraufführung seiner sinfonischen Choreografie Cellokonzert am Ende des dreiteiligen Ballettabends b.41 im Opernhaus Düsseldorf auf den Punkt. Menschliche Begegnungen in der Nachfolge romantischer Liebestragödien auf Musik von Tschaikowsky, Adam und Co. lassen sich auf sinfonische Musik des 20. und 21. Jahrhunderts bestens vertanzen. Zum Beweis holt er diesmal zwei Granden des Modern Dance und neoklassischen Balletts ins Boot des neuen Programms seines Ballett am Rhein zum Auftakt seiner letzten Saison hier, bevor er nach Wien wechselt.
Benjamin Britten kontempliert Leben und Sterben in seinem kurzen Orchesterwerk „Sinfonia da Requiem" (mit den Sätzen Lacrimosa, Dies Irae, Requiem Aeterna). Tanztechnisch wirkt es in Ji?í Kyliáns Choreografie Forgotten Land von 1981 im Kontext dieses Ballettabends aber auch wie eine Hommage auf die Mutter des Modern Dance, Martha Graham ? nicht zuletzt wegen der langen Glockenröcke, die die sechs Damen wie aufgepeitschte Kreisel zum Schwingen bringen, und der immer wieder wunderbaren „Ailey-Vogelschwingen", die den Graham-Schüler unsterblich machten.
Die sechs Paare in farblich unterschiedlichen Kostümen stehen anfangs einem riesigen Himmels-Gemälde im protzig-barocken goldenen Rahmen auf dem Rückprospekt zugewandt. Dramatische düstere Wolken schweben auf dunkelrotem Firmament. Später verdunkeln sich die gemalten Wolkengebirge vollends, um zwischendurch wieder rötliche Töne (Hoffnung auf Liebe?) zuzulassen. Kylián widmete dieses kurze Ballett aus zärtlichen Duetten mit vielen Umarmungen seinen Eltern.
Herzstück des Abends sind zwei charakteristische Kurzchoreografien von der Grande Dame des Modern Dance aus den 1930er Jahren, für deren Aufführung Schläpfer die Rechte erwerben konnte. Nur vier Minuten dauert das archaische Solo Lamentation, mit dem Martha Graham in New York den Durchbruch erreichte. Noch ganz in der Tradition so aufmüpfiger Tanzfrauen wie Mary Wigman oder Isadora Duncan, revitalisiert Camille Andriot, die vor Jahren schon Mary Wigman unvergesslich tanzte, mit androgyner Stringenz die unterbewertete Stellung der Frau im lila Kokon eines werdenden Schmetterlings.
An ein ägyptisches Fries - so typisch für Grahams archaische Gruppenchoreografien - erinnert das folgende, gesellschaftlich weniger persönlich gefärbte, aber ebenso engagierte Frauenballett Steps in the Street, dessen expressionistischer Gestus sich auch wenige Jahre später in Kurt Jooss' Antikriegsballett Der Grüne Tisch wiederfindet.
Jung und frisch kommt schließlich die Uraufführung von Martin Schläpfers Cellokonzert daher - sein Abschiedsgeschenk an die eigene Kompanie. Dmitri Schostakowitschs 2. Cello-Konzert lässt sich mit minimalistischen Passagen und motorischen Rhythmen bestens 2vertanzen". Die sehr individualistischen Alltags-Kostüme, teilweise künstlerisch verfremdet von Hélène Vergnes, signalisieren Schläpfers Anspruch an die Gültigkeit und das Fortschreiten zeitgemäßen Balletts. Er belegt das mit Zitaten aus Kyliáns und Grahams Werken bis hin zu einer Reminiszenz an Nijinskys Nachmittag eines Faun in einer kurzen Solo-Sequenz von Marcos Menha und auch mit dem Wettstreit zweier Gruppen ? der kleineren auf Spitze (für klassisches und neo-klassisches Ballett), der großen in Schläppchen (für Modern Dance). Aber Schläpfers „Geschichte" erzählt von der Sehnsucht in menschlichen Begegnungen. Gestern, heute und morgen.
Musikalisch vorzüglich begleiten den emotional tiefgründigen Ballett-Abend die Düsseldorfer Symphoniker unter GMD Axel Kober mit den Solisten Eduardo Boechat (Klavier) und Nikolaus Trieb (Cello).