Übrigens …

Bilderzerstörer im Düsseldorf, Central

Wenn die Broiler Windeln tragen

Das ist ungewöhnlich: Die Tanzkompanie von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart startet tanzend! Tatsächlich ist das eher selten bei der sich politisch gebenden, meist ebenso fröhlichen wie provokanten Truppe von bodytalk. Diesmal hat sie sich mit dem polnischen Teatr Rozbark aus Bytom zusammengetan, um - so jedenfalls die Ankündigung des Düsseldorfer Asphalt Festivals - sich mit der Zerstörung von Kunstwerken zu befassen. „… Eigentlich banale Akte der Destruktion (können) weit über die Grenzen der Kunstwelt hinaus große Wellen schlagen“, schreibt das Festival, und ja, das trifft es schon eher: Nicht nur die Kunstwelt liefert schöne Bilder, die mehr oder weniger brutal (oder, wie häufig bei bodytalk, mit großem Witz und selbstironischer Finesse) zerstört werden.

Die Gruppe startet also mit einer energetischen Choreografie. Wie Vögel fliegen die Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne - bis dass eine breite Papierwand sie verbirgt. Noch tänzelnd pinselt René Haustein ein paar Striche aufs Papier. Tatsächlich entpuppt sich das Kunstwerk schließlich als Vogel. Jan Paul Werge ist für die Live-Musik zuständig; in seinen schwungvollen Rhythmen hatte man immer deutlicher so etwas wie eine Panflöte herausgehört. Und so denkt man bei dem Federvieh an einen Kondor, den König der Lüfte in den südamerikanischen Anden; ein Adler könnte es auch sein, beide jedenfalls majestätische Tiere und als solche auch Wappentiere und Symbole der Macht. Was hinter den Bildern ist, will bodytalk erkunden. Bei Hausteins Kondor sind es Mord und Zerstörung. Von hinten stößt mit der Härte und Präzision eines Messers ein Arm mitten ins Herz des Vogels, begleitet von einem im Publikum Erschrecken auslösenden durchdringenden Sound. Es ist der Arm des Bilderzerstörers. Zerstört er die Schönheit und Erhabenheit einer majestätischen Kreatur oder gehört er einem, der revoltiert gegen die Macht? - Der Maler pinselt ungerührt weiter, und irgendwann wickeln sich einige der Performer in das inzwischen blutrot befleckte Papier ein. Manche ihrer Gesichter drücken Leid und Schmerz aus. Werden sie da gerade selbst zerstört? Sind sie die Seelen der Bilder?

Die dynamische, abwechslungsreiche Choreografie gibt Rätsel auf, doch ihr Titel gibt den entscheidenden Hinweis auf die Verbindungen zwischen ihren eigentlich sehr unterschiedlich anmutenden Kapiteln. Amy Pender tritt in einen Dialog mit ihrem Partner Martijn Joling über Diabetes und Corona: Spritzen gegen Diabetes hinterlassen Narben am bildschönen Körper, Covid verursacht Narben auf der Seele. „Die-abetes“, sagt Amy Pender (englisch ausgesprochen, von to die - sterben) „die-agonal“, „die-recting“. Denn siehe, Tod und Zerstörung liegen so nah. Das an diesem Abend ungewöhnlich albern aufgelegte Düsseldorfer Publikum lacht. Performances von bodytalk machen Spaß, aber nicht immer ist witzig, was Gelächter auslöst.

Noch mehr Lachen gibt es beim anschließenden Porno. Wilde homoerotische und sadomasochistische Orgien provozieren; Piotr Mateusz Wach, fast nackt mit erigierten Papier-Penis, wird mit Klopapier ausgepeitscht; auf einem Silbertablett wird ein Plastik-Phallus präsentiert, der dann bei den lustvoll vorgeführten Leckereien und Penetrationen zu Diensten steht. „Und Tugend wird zur Hure frech gemacht“, heißt es in dem von dem als Transvestit auftretenden Performer Alexey Torgunakov begleitend vorgetragenen Shakespeare-Sonett. Die obszöne Porno-Show muss man nicht schön finden; das Sonett ist grandios. Und wieder fragt man sich: Was wird denn hier zerstört? Die lustvolle Orgie durch einen transvestitischen Tugendbold oder die Tugend durch herumhurende SM-Jünglinge? „… schlichte Wahrheit nennt man Einfalt glatt / Und Gutes Schlechtesten die Stiefel leckt“, kommentiert das Sonett. Hinter den schönen Bildern verbirgt sich oft das Gegenteil, und der glitzernde Spiegel zeigt einen hässlichen Phallus.

Bilder wie aus einem romantischen Schauermärchen entpuppen sich als Allegorien auf den Tod. Im Märchenwald begegnet man dem Knochenmann, der scheinbar eine kahle Baumkrone trägt, später den Totenschädel eines gehörnten Tiers. Die übrigen Performer bewegen sich im Schattenreich; nur ihre knochigen Hände glitzern im dunklen Licht. Ein zotteliges Untier kämpft mit einem Naturburschen. Es sind tolle Bilder, die bodytalk entwirft. Immer wieder formieren sich neue Paare oder Gruppen; choreographisch und tänzerisch hat die Truppe mächtig was drauf - und dann dringt einer mit Corona-Maske in die Schauer-Idylle ein. Gevatter Tod ist nicht romantisch.

Zur Melodie von „Live is Life“ singt man „Fleisch ist Fleisch“ und holt die Tiefkühl-Hähnchen auf die Bühne. Wieder bricht die typische doppelbödige bodytalk-Fröhlichkeit aus; hinter der vergnügten Vegetarier-Provokation („Fleisch gibt mir Power, Gemüse frisst der Bauer“) lugt Gesellschaftskritik durch, und Jan Paul Werge wackelt ausgelassen mit seiner Broiler-Mütze dazu. bodytalk setzt im grandiosen Schluss-Akkord noch einen drauf. Tschaikowskys harmonieseliger Blumenwalzer erklingt, und die Tänzerinnen und Tänzer tanzen dazu in Harmonie und Fröhlichkeit: mit den Windeln tragenden Hähnchen, die nun aussehen wie tote Babys und am Ende des Tanzes in einen großen Topf getunkt werden. - „Nein!“, schreit einer. Doch wie heißt es frei nach Christoph Meckel: Der Tanz ist nicht der Ort, wo die Schönheit gepflegt wird…