Nun doch Applaus für Scheiße
Pardon! Aber das kommt später.
Zunächst gibt’s am Rande eines weiten schwarzen Bühnenraumes eine Live-Band: Geigen, Cello, Flügel und Keyboard, die den Raum mit einem finster-monotonen Sound beschallen und im Dämmerlicht von dunklen Gestalten gespielt werden, die jeweils ein gespenstiges Totengerippe gebuckelt haben.
Im Hintergrund leuchten auf zwei Videotafeln sich ständig wiederholende Texte auf: „here in the forest - dark and deep….“. Aha, es soll ja ein bisschen um Dante Alighieris Göttliche Komödie gehen, A Divine Comedy (alles auf Englisch ohne Übertitel, so ist das eben bei Florentina Holzinger) und die beginnt ja bekanntlich am Karfreitag des Jahres 1300 in einem „dunklen Walde“, furchterregend, wild, rau und dicht ist es da. Soweit eine Andeutung der Eingangsstimmung der Divina Commedia, eine Spur, die in den folgenden zwei Stunden nur sehr, sehr sparsam weitergelegt wird. Dabei liefert die Videowand einige Hinweise: da erscheint das Foto eines Berggipfels, der auf den Läuterungsberg verweisen könnte, oder es lodern Höllen-Flammen über die gesamte Fläche. Doch zunächst gibt’s ein Vorspiel, das nur mühsam in die Comedy einführt: Eine schicke Hypnotiseurin lässt eine Gruppe angeblich vorher gecasteter (bekleideter) Zuschauer auf Kommando vor uns exerzieren: „Sleep!“ „Wake up!“ „Stand up!“ heißt es - sich endlos dehnende zwanzig Minuten lang. Am Ende bleibt ein Medium zurück, im wirklichen Leben eine Tänzerin, Mitglied der Companie, durch die Hypnose in Dante verwandelt. Sie setzt sich die rote Dante- Kappe auf, wirft sich die entsprechende Pelerine um die Schultern, lässt alle andere Kleidung fallen. Drei Dixi-Klos tanzen herein, sie erwischt eines und bevor sie im Höllenfeuer hinter der Tür verschwindet, lässt sie - den nackten Po zum Publikum gewendet - einen gewaltigen Furz fahren. (Wie heißt es bei Dante? „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.“)
Auf der Hinterbühne tauchen zweiundzwanzig Tänzerinnen auf, wie immer bei Holzinger alle nackt, unter ihnen eine Sexarbeiterin, einige Akrobatinnen und die Grande Dame der Truppe: die fast achtzigjährige Beatrice Cordua, die dieses Mal eine alte, an Parkinson erkrankte Tänzerin spielt, die über ihr Leben spricht und dabei Autobiographisches mit Fiktivem mischt. Von zwei Toden einer Tänzerin spricht sie, dem einen am Ende des Tanzes und dem Lebenstod, der für sie dann später im Stück aufwändig zelebriert wird. Dabei mischen sich schon in ihrem Namen, Beatrice, Leben und Stück.
In den folgenden Szenen wird es immer schwieriger, Bezüge zu Dante zu erkennen. Zwar gibt es auch im Inferno und Purgatorium derbe, ekstatische, obszöne Elemente: Unzüchtige und Wollüstige treten auf, Blut der Tyrannen fließt in Strömen und Böse werden gehäutet. Doch auf der Bühne überzeugen die Zitate nicht. Sie wirken willkürlich, wie Nummern einer Revue nebeneinandergestellt, eher effekthascherisch, provokativ gemeint als sinngebend.
Auch choreographisch kann das Ganze nicht überzeugen, alles wirkt seelenlos, unzusammenhängend, auf drastische Showeffekte und Grenzüberschreitungen aus. Was sollen akrobatische Nummern in Fegefeuer und Hölle? Da rollen nackte Frauen wieder und wieder die Treppenrampen herunter, lassen sich rückwärts ins Nichts fallen, hängen kopfüber an Seilen oder spielen schwebend am gekippten Flügel. Langweilig wird es, wenn vier nackte Frauen Hürden aufbauen und zehn oder mehr Mal auf Gong und Schuss darüberspringen. Die Längste siegt, dann wird abgebaut.
Später wird gesägt und bis zur Erschöpfung Holz gehackt, während der Rest der Truppe im halbdunklen Hintergrund wie besessen tanzt, sich zu Tode tanzt: ein Totentanz? Laut knatternd und zum ohrenbetäubenden Getöse der Band bei grellen Stroboskopeffekten, wird das Geschehen vom Tod auf einem Motorrad umrundet, auf der Videowand wird eine Ratte gehäutet und vom Bühnenhimmel stürzen krachend zwei Kleinwagen. Mag sein, dass das die Hölle ist.
Danach wird’s noch drastischer, zynisch-makaber: eine Riesenleinwand wird aufgestellt, davor die Tänzerin Beatrice zum Sterben gebettet. Doch vor der Totenfeier gibt’s noch einen Lesben-Liebesakt mit ihr, dann wird einer Mitfeiernden Blut abgezapft und in einem wilden Aktion-Painting auf die Leinwand geschmiert. Dazu wird eimerweise Farbe verteilt, die Körper wälzen sich darin, bilden ihren Abdruck auf dem Bild, schaffen wild wuchernde Formen als Grabbild für Beatrice. Neben dieser Aktion-Body-Painting-Begräbnisfeier liegt auf einer Bahre eine opulente Frau, die sich unter Stöhnen und Kreischen selbst befriedigt. Das alles wird von einer Live-Kamera mitgefilmt und groß auf die Wand projiziert. Da werden für einige Besucher Geschmacks- und Schamgrenzen überdehnt, sie verlassen den Saal. Das sind wohl die Szenen, die eine Altersbegrenzung ab achtzehn begründen.
Zum Schluss noch ein Slapstick: Die Dixi-Klos kommen zurück. Mit Riesen-Klobürste entsteigt ihnen Dante, legt einen dicken Haufen und wird von der Hypnotiseurin zurück ins Jetzt geholt.
Das war’s dann im rauen Ambiente der Kraftzentrale im Duisburger Landschaftspark-Nord. Nach der preisgekrönten Performance TANZ der 1986 in Wien geborenen Extrem-Choreographin Florentina Holzinger waren die Erwartungen hochgeschraubt. Seit ihrem Durchbruch 2011 mit der Performance KEIN APPLAUS FÜR SCHEIßE wagt sie sich weit vor im Mix aus Splatter, Trash und Hochkultur. Doch: Tabubruch und Radikalität bedeuten noch nicht Kunst.
Dennoch: Applaus vom verbliebenen Festivalpublikum der Ruhrtriennale.